Berlin:Später Neuanfang

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Gleich neben ihren Trümmern feierten Berliner Juden 1945 ihr erstes Neujahrsfest nach dem Ende der NS-Barbarei. Nun soll die Synagoge am Fraenkelufer neu aufgebaut werden - als erste von den Nazis zerstörte Berliner Synagoge überhaupt.

Von Verena Mayer

Vor einer Freifläche in Kreuzberg steht ein Architekt und hält seinen Entwurf in die Höhe. Man sieht ein altes Gebäude darauf, und davor ragt eines in die Höhe, das demnächst hier entstehen könnte. Alltag in Berlin, wo gerade jeder freie Flecken bebaut oder nachverdichtet wird. Und doch ist alles an dem Entwurf ungewöhnlich. Denn das alte Gebäude ist eine Synagoge beziehungsweise der Seitenflügel, der von dem Gotteshaus blieb, nachdem die Nazis 1938 hier einen Brand gelegt und alles verwüstet hatten. Und das neue Gebäude soll die Synagoge werden, die hier einmal stand. Ein klassizistischer Prachtbau mit wuchtigen Säulen, einem ausladenden Spitzdach und Platz für Hunderte von Leuten.

Es ist nicht das erste historische Gebäude, das in Berlin rekonstruiert wird, das Stadtschloss steht kurz vor seiner Fertigstellung. Doch es ist die erste Synagoge, die wiederaufgebaut würde und zwar genauso, wie sie einmal war.

Das Projekt fällt in eine Zeit, in der die Zahl antisemitischer Straftaten stark gestiegen ist

Noch ist alles nur ein Projekt. Das mindestens 20 Millionen kosten und frühestens in fünf Jahren fertig sein könnte. Da das Land Berlin involviert ist, müsste es erst auch noch ausgeschrieben werden. Doch die Idee wird von Stadtpolitikern und der jüdischen Gemeinde getragen. "Jetzt liegt alles in Gottes Hand - und bei der Berliner Politik", sagt deren Vorsitzender Gideon Joffe.

1945 fotografierte Robert Capa während eines Gottesdienstes im Nebentrakt der zerstörten Synagoge. (Foto: Robert Capa © International Center of Photography)

So oder so: Der Neubau soll mehr Platz bieten für die wachsende jüdische Gemeinde in Berlin. Aber er ist auch ein Symbol. Denn das Projekt fällt in eine Zeit, in der die Zahl antisemitischer Straftaten stark gestiegen ist, im Jahr 2017 wurden in Berlin 288 Fälle registriert, doppelt so viele wie 2013. Das Dunkelfeld ist groß, da viele Juden Straftaten erst gar nicht anzeigen. Dazu kommen immer wieder Vorfälle wie dieser: Ein jüdischer Schüler wurde an seiner Oberschule dermaßen gemobbt und angegriffen, dass er zu seiner eigenen Sicherheit die Pausen alleine in einem eigenen Raum verbringen musste. Und vergangenen Dezember ging das Video um die Welt, das ein israelischer Restaurantbetreiber gemacht hat. Man sieht darauf, wie er von einem Passanten Minuten lang wüst antisemitisch beschimpft und beleidigt wird. Berlin, das ist eine Stadt, in der Antisemitismus gerade wieder offen zum Vorschein kommt.

Um in die Synagoge am Kreuzberger Fraenkelufer zu kommen, muss man erst durch Schleusen und wird von Security-Leuten kontrolliert, 2002 hatte es hier einen Brandanschlag gegeben, der Palästinensern oder ihren Sympathisanten zugeschrieben wird, die Täter wurden nie gefasst. In einem Saal stehen Tora-Kronen und siebenarmige Leuchter aus Silber, an den Wänden hängen Fotos, die der berühmte Kriegsfotograf Robert Capa hier 1945 gemacht hat. Sie zeigen, wie der letzte intakte Teil der Synagoge wieder in Betrieb genommen wird, amerikanische Soldaten beten zusammen mit KZ-Überlebenden und jüdischen Waisenkindern, es war die erste Synagoge in Berlin, in die wieder Leben einkehrte. Das verwüstete und verbrannte Hauptgebäude hatte erst die Gestapo genutzt, um geraubte Besitztümer von Juden zu lagern, während des Krieges wurde es dann endgültig zerstört.

Der Nebentrakt ist auch heute noch in Gebrauch. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

Der Architekt Kilian Enders hat sich durch die Archive gewühlt und noch ein paar Pläne vom Bau 1916 gefunden. Er nennt seinen Entwurf aber nicht Rekonstruktion, sondern lieber Wiederaufbau. Man könne nicht rekonstruieren, was willentlich vernichtet worden war, sagt Enders, der Bruch müsse sichtbar werden. Die Fassade soll daher weiß bleiben, als Symbol für den Neuanfang, aber auch für die Leerstelle, die hier jahrzehntelang war.

Wenn man Schlösser aufbaue, müsse man auch Synagogen aufbauen, meint der Politiker

Draußen ist Kreuzberg, wie man es kennt, Hipstercafés, der türkische Markt, das Kottbusser Tor ist in Fußweite, das pralle Berliner Leben. Die Synagoge am Fraenkelufer habe immer schon zum Herzen Berlins gehört, sagt Jonathan Marcus von Synagogenvorstand. Bereits seine Großeltern beteten hier, er selbst feierte seine Bar-Mizwa. Heute mischen sich an den Feiertagen Juden aus Nordafrika, den Vereinigten Staaten, Israel oder Frankreich unter die Berliner. Die meisten von ihnen leben hier, andere kommen während eines Berlin-Besuchs zum Beten, und an manchen Wochenenden ist es hier so voll, dass die Kinderwagen kaum hineinpassen. Und der grassierende Antisemitismus, macht ihm das keine Angst? Der Antisemitismus sei "ein Hintergrundgeräusch", sagt Marcus, "die Schweinefüße, die jetzt überall herauskommen, erinnern uns daran, dass nichts selbstverständlich ist". Aber man habe auch nicht vor, das hinzunehmen.

Und da ist noch Raed Saleh, Fraktionschef der Berliner SPD. Er sagt, wenn man Schlösser wiederaufbauen könne, müsse man erst recht Synagogen wiederaufbauen. "Wo, wenn nicht in Berlin, soll man ein Zeichen setzen?" Er ist ursprünglich Palästinenser, als Fünfjähriger war er mit seinen Eltern aus dem Westjordanland nach Berlin gekommen, wo er mit acht Geschwistern in einer Plattenbauwohnung aufwuchs. Seit Jahren setzt er sich für jüdisches Leben in der Hauptstadt ein, die Idee mit dem Neubau der Synagoge kam ihm am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht.

Gideon Joffe (li.) und Raed Saleh planen nun den Wiederaufbau der alten Synagoge. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

Ein muslimischer Politiker, der sich für den Wiederaufbau einer Synagoge einsetzt - auch das ist Berlin.

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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