Berlin:Revier markiert

Lesezeit: 3 min

Ein Bad im Schlachtensee wird für Vierbeiner auch künftig nicht möglich sein. Für nasse Pfoten könnte es aber reichen. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Die Stadt scheint im Chaos zu versinken, doch das Verwaltungsgericht spricht ein Urteil von "grundsätzlicher Bedeutung": Hundehalter dürfen am Schlachtensee wieder mit ihren Tieren Gassi gehen.

Von Verena Mayer

Wer in Berlin lebt, braucht dieser Tage ja eine ordentliche Portion Lokalmasochismus. Schulen und Schwimmbäder sind marode, Tausende Flüchtlinge lässt man einfach in der Kälte stehen. Den Hauptstadtflughafen gibt es nur als Witz, und die Bürgerämter sind so überlastet, dass die Beantragung eines Personalausweises inzwischen als ähnliche abgefahren gilt wie ein Besuch im Club Berghain oder Drogennehmen. Kurzum: Ganz Berlin wird derzeit offenbar vom Chaos regiert.

Ganz Berlin? Nein, an einem Badesee im Südwesten werden wichtige Dinge noch sehr genau geregelt. Vor allem dass am Uferweg keine Hunde mehr entlang laufen dürfen. Allein elf Verwaltungen waren daran beteiligt, das Verbot umzusetzen, mit ganz bestimmten Schildern, rot mit durchgestrichenem Hund. Und am Dienstag müssen sich fünf Richter am Verwaltungsgericht mit der Frage befassen, ob das Hundeverbot am Seeufer auch rechtens ist.

Zur Ehrenrettung Berlins muss man an dieser Stelle sagen, dass das Thema Hunde die Hauptstadtbewohner aufwühlt wie kaum ein anderes. 100 000 Hunde gibt es in Berlin, und sie hinterlassen am Tag 50 Tonnen Kot. Bis das aktuelle Hundegesetz in Kraft treten konnte, demzufolge man Häufchen beseitigen muss und Hunde nur in Ausnahmefällen von der Leine lassen darf, waren drei Jahre nötig. Nicht zu vergessen die vielen Verhandlungsrunden zwischen Behörden und Bürgern, Hundehaltern und Hundegegnern. Sie hießen "Bello-Dialoge".

Und dann gab es die Aktion am Schlachtensee, einem beschaulichen Gewässer im Berliner Südwesten. Weil sich hier immer wieder Hunde, Herrchen, Badende und Kinder in die Quere kamen, schritt der zuständige Bezirk im Frühjahr ein und verhängte am Uferweg ein Hundeverbot. Das wollten Berlins Hundebesitzer nicht hinnehmen. Sie formierten sich in zwei Bürgerinitiativen. Es gab Mahnwachen und Protestmärsche, fast schon eine Schlacht um den Schlachtensee.

An diesem sonnigen Dienstagmorgen sieht man sich vor Gericht wieder. Auf der einen Seite sitzt Frank Kuehn, braun gebrannt, Besitzer eines Beagles. Kuehn hat gegen das Hundeverbot geklagt. Mit ihm sind zahlreiche Mitstreiter im Gerichtssaal erschienen, an ihren Jacken haben sie Anstecker, auf denen "Hunde am Schlachtensee" steht. Auf der anderen Seite hat die zuständige Stadträtin des Bezirks Steglitz-Zehlendorf Platz genommen. Christa Markl-Vieto, graues Haar, Brille. Sie ist von den Grünen und hat ebenfalls einen Hund, aber hier muss sie das Hundeverbot verteidigen. Dazwischen sitzen Anwälte, Vertreter der Behörden und jede Menge Journalisten. Der Hundebann hält die Lokalpresse seit Monaten in Atem.

Alles dreht sich vor Gericht um eine Frage: Ist der Weg eine Badestelle?

"Das ist eine Gemengelage", sagt dann auch der Richter und lässt erst mal Handzettel im Publikum verteilen. Darauf sind die wichtigsten Paragrafen zum Berliner Hundegesetz und der allgemeinen Beschaffenheit von Hundeleinen aufgelistet. Eigentlich geht es in diesem Prozess ja um eine relativ einfache juristische Frage. Ob nämlich der Schlachtensee samt Uferweg eine Badestelle ist, an der Hunde, wie an allen Berliner Badestellen, nichts verloren haben. Oder eben nicht. Das heißt aber keineswegs, dass man den Sachverhalt nicht genauestens aufdröseln kann. Wenn die Berliner Behörden etwas richtig machen wollen, dann aber wirklich.

Auf den Tischen der Richter und Anwälte stapeln sich Fotos. Man sieht den Schlachtensee darauf, mit seinem grünlich schimmernden Wasser, den vielen Bäumen und den kleinen Sandstränden. Auf dem schmalen Uferweg sind Spaziergänger unterwegs, dazu Jogger, Kinder, Fahrräder, junge Leute mit Picknickdecken, irgendjemand hat ein Paddelboot abgestellt - und das alles nicht mal zwanzig S-Bahn-Minuten vom Zentrum entfernt. Der Schlachtensee ist, anders als sein Name es nahelegen würde, einer der idyllischsten Orte Berlins.

Wenn es nach der Bezirkspolitikerin Markl-Vieto geht, ist wegen der Hunde hier allerdings schon lange keine Erholung mehr möglich gewesen. Hunde seien am Wasser über Handtücher gelaufen, hätten Dreijährige angesprungen und älteren Menschen Angst gemacht. "Die Leute fühlten sich nicht mehr wohl", sagt Markl-Vieto vor Gericht. Außerdem müsse man den Wald schützen und die Wasserqualität verbessern. Sie will das Hundeverbot aufrecht erhalten, so wie es ist.

Es geht noch viele Stunden lang hin und her, was genau eine Badestelle ausmacht, wie man einen Hund richtig an der Leine hält und welches Schild Schwimmern signalisieren soll, wo sie baden dürfen. Hundebesitzer Frank Kuehn, der gegen das Verbot geklagt hat, sagt in einer Prozesspause: "Ich habe nix von dem verstanden, was hier geredet wird, ich will einfach mit meinem Hund Gassi gehen."

Das kann er auch. Zumindest werden Hunde an der Leine in Zukunft wieder den Uferweg des Schlachtensees und des angrenzenden kleineren Sees Krumme Lanke entlanglaufen dürfen. Das entschied das Verwaltungsgericht, das Dienstagnachmittag das Hundeverbot aufhob. In der Urteilsbegründung heißt es, die umstrittene Regelung werde gekippt, "weil der Uferweg nicht insgesamt als Badestelle angesehen werden könne". Hauptstadt-Chaos hin oder her - immerhin das ist in Berlin jetztgeklärt. Jedenfalls bis zur Berufung, die der Bezirk beim Oberverwaltungsgericht einlegen kann. "Wegen grundsätzlicher Bedeutung" des Falls, wie es im Urteil heißt.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: