Berlin:Echs und hopp

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Nach dem Mauerfall wurde er im Köpenicker Forst entsorgt: Lenins hässlicher Granitkopf. Nun könnte er längst wieder gehoben sein, wenn - ja, wenn nur nicht die Zauneidechse wäre.

Von Verena Mayer

Die Geschichte des Kopfes, der im Wald versteckt, gesucht und wieder gefunden wurde, aber nicht ausgegraben werden darf, beginnt man am besten mit den Worten desjenigen, dem dieser Kopf gehört. Das ist Wladimir Iljitsch Lenin, und der sagte einmal: "Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück." Damit ist die Berliner Posse schon ganz gut beschrieben, in der es um Folgendes geht: Lenins Kopf, aus Stein, knapp zwei Meter hoch, und ein Museum, das diesen Kopf gerne ausstellen würde. Schließlich die Stadt Berlin, ihre Zauneidechsen und die Geschichte an sich. Also wie man mit ihr umgeht, oder eben nicht.

Aber von Anfang an. Berlin, 1991. Eine neue Zeit hat begonnen, die alte soll auf den Müllhaufen der Geschichte, also auch die Statue von Lenin aus dem Ostberliner Bezirk Friedrichshain. 19 Meter hoch, aus ukrainischem Granit gehauen, Lenin in seinem typischen Mantel. Wie bei so vielen Denkmalstürzen davor und danach wird Lenin erst vom Sockel gekippt und dann in einzelne Teile zerlegt, in 129, um genau zu sein. Der Kopf mit den zusammengekniffenen Augen und dem schmissigen Bart bleibt ganz. Bilder von damals zeigen, wie Arbeiter ihn mit roten Seilen umwickeln und abtransportieren, einen Schritt vorwärts, zwei zurück.

Dieser Kopf hat 2003 einen großen Auftritt in dem preisgekrönten deutschen Film "Good bye, Lenin", in dem es ebenfalls um die Geschichte geht. Und zwar darum, dass sie für manche nicht enden darf. Eine Frau aus Ostberlin erwacht nach der Wende aus dem Koma, und weil sie sich nicht aufregen soll, tut ihr Sohn, gespielt von Daniel Brühl, alles, damit sie das Ende der DDR nicht mitbekommt. Das geht so lange gut, bis eines Tages Lenins abmontierter Kopf am Wohnzimmerfenster vorbeifliegt. Also eine Attrappe, denn der echte Kopf liegt da schon mehr als zehn Jahre im Wald. Verbuddelt, auf Geheiß des zuständigen Bezirksparlaments.

Berlin, 2010. Der Westberliner Bezirk Spandau plant eine Ausstellung mit dem Titel "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler". Statuen aus der Preußen-Zeit, die von den Alliierten nach 1945 im Tiergarten vergraben wurden, sollen zu sehen sein, und jemand hatte die Idee, auch Lenins Kopf zu zeigen. Warum? Anruf bei der Spandauer Kulturamtsleiterin Andrea Theissen. Sie sagt, es gehe um ein Stück Berliner Stadtgeschichte, "und Denkmäler sind anschaulich, man kann sie anfassen". Viele finden das eine gute Idee, das Geld für die Ausstellung hat Theissen auch, aus dem Lotto-Fördertopf und von der EU. Nur Lenins Kopf fehlt. Er ist unauffindbar, im Eifer des Denkmalsturzes hat offenbar keiner dran gedacht, dass man sich bei Dingen, die man im Wald verbuddelt, immer die Stelle merken sollte. Die umfasst ein riesiges und unwegsames Gebiet im Köpenicker Forst, mit viel Sand, Bäumen und Bauschutt, und dazwischen liegt laut Berliner Tagesspiegel ein Wegstück, das aussehe "wie ein Hexentanzplatz".

Die Ausstellungsmacher beginnen also zu recherchieren, durchforsten Akten, bekommen einen Tipp von einem amerikanischen Dokumentarfilmer, der seinerzeit dabei war. Doch jetzt ist es dem Landesdenkmalamt zu aufwendig und zu teuer, den Wald nach Lenins Kopf durchzuackern. Also einen Schritt vorwärts, zwei zurück, es gibt ein langes Hin und Her. Irgendwann 2014 fällt die Entscheidung: Lenin soll raus aus der Erde. Der Hintergrund sei, dass man auch mit unliebsamer Kunst sorgsam umgehen müsse, sagt Andrea Theissen. Eine Kopf-Sache.

Berlin, Ende 2014. Man könnte jetzt graben, doch Lenins Kopf liegt noch immer im Wald. Der Grund ist die Zauneidechse, die rund um das Bollwerk der Geschichte heimisch geworden ist. Und von dort kann sie nicht so einfach weg, wenn es nach den Naturschutzbehörden geht. Die Zauneidechse muss erst gezielt vergrämt werden, so heißt das in der Jägersprache, wenn eine Tierart einen Ort verlassen und an einem anderen angesiedelt werden soll. In den zuständigen Behörden finden Sitzungen, Anhörungen, Diskussionen statt, Politiker und Umweltschützer schalten sich ein, protestieren gegen das Vorhaben. Dass die Geschichte nicht ans Licht kommen kann, weil ein kleines Reptil darauf sitzt, muss man wohl einen Treppenwitz der Geschichte nennen.

Berlin, im März 2015. Ein so genanntes "Vergrämungskonzept" steht. Wenn alles so läuft, wie geplant, können die Zauneidechsen nun im August umgesiedelt werden, in ein anderes schönes Waldstück. Noch ist der endgültige Bescheid nicht durch, aber es sehe gut aus, sagt die Spandauer Kulturamtsleiterin Andrea Theissen. Danach soll Lenins Kopf ausgegraben werden, die Ausstellung über Berlins verschwundene Denkmäler könnte Ende September eröffnet werden. Und die Moral von der Geschichte? "Man soll Spuren der Geschichte nicht entfernen", sagt Andrea Theissen, die selbst Historikerin ist. Weil man historisches Geschehen nicht tilgen könne. Und weil am Ende einfach viel zu viele vergrämt werden könnten.

© SZ vom 27.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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