Anklage im Loveparade-Verfahren:Aufarbeitung einer Katastrophe

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21 Menschen kamen bei der Loveparade-Katastrophe im Juli 2010 ums Leben. Jetzt hat die Duisburger Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Wie weit sind die Ermittlungen? Wann kommt es zum Prozess? Und was erwarten die Überlebenden und Angehörigen?

Die wichtigsten Fragen und Antworten

Dreieinhalb Jahre nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg mit 21 Toten hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen mutmaßliche Verantwortliche erhoben. Die Ermittlungen um das tragische Geschehen seien abgeschlossen, teilte die Staatsanwaltschaft Duisburg an diesem Dienstag mit.

Um was geht es?

Am 24. Juli 2010 sind Hunderttausende Technofans auf dem Weg zum alten Duisburger Güterbahnhof. Sie werden aus zwei Richtungen durch einen Tunnel geleitet, in der Mitte führt eine Rampe auf das Festivalgelände. Die Rampe ist schmal, die Menschen stehen stundenlang eingepfercht nebeneinander, einige versuchen über eine Treppe zu entkommen. 21 junge Menschen werden in dem Gedränge erdrückt oder totgetrampelt, Hunderte verletzt und traumatisiert. Seit dreieinhalb Jahren ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft zu der Frage, wer für die Katastrophe verantwortlich ist - der Veranstalter, die Stadt, die Sicherheitskräfte? Jetzt haben die Staatsanwälte beim Landgericht Duisburg Anklage erhoben.

Wie weit sind die Ermittlungen?

Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung gegen 16 Beschuldigte, Medienberichten zufolge ist die Zahl nun auf zehn geschrumpft - Anklage soll demnach gegen Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters Lopavent erhoben werden, nicht aber gegen Lopavent-Chef Rainer Schaller, Polizisten und leitende Stadtmitarbeiter. Seit dem Unglück ist die Akte zur Loveparade-Katastrophe auf etwa 35 000 Seiten angewachsen. Es wurden mehr als 3500 Zeugen vernommen, mehr als 900 Stunden Videomaterial gesichtet, Hunderte Terabyte Daten ausgewertet. Sollte es zu einem Verfahren kommen, dürfte ein Gutachten vom März 2013 eine wichtige Rolle spielen. Der britische Gutachter G. Keith Still hatte darin schwere Vorwürfe gegen die Stadt Duisburg und Lopavent erhoben: Angesichts der räumlichen Gegebenheiten und der Organisation der Massenveranstaltung habe die Loveparade in einer Katastrophe enden müssen.

Was passiert jetzt?

Die Staatsanwaltschaft hat die Anklageschrift eingereicht, jetzt muss das Landgericht Duisburg die Unterlagen durchgehen und prüfen, ob es ein Hauptverfahren gegen die Beschuldigten eröffnet. Das dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen - wann es zum Prozess kommen könnte, ist vollkommen offen. "Kein Strafprozess vor 2015", lautet die Einschätzung der Anwältin Bärbel Schönhof, die 30 Opfer der Loveparade-Katastrophe vertritt. Nähere Informationen zur Anklage sind an diesem Mittwoch zu erwarten, wenn sich die Staatsanwaltschaft auf einer Pressekonferenz erklären wird. Dann sollte auch klar sein, wer zu den Beschuldigten zählt und wie der Tatvorwurf genau lautet.

Was erwarten Überlebende und Angehörige von Opfern von dem Verfahren?

"Am Ende des Prozesses wird es möglicherweise eine große Enttäuschung geben", befürchtet Opferanwalt Julius Reiter. Der Jurist, der 100 Opfer der Katastrophe vertritt, reagierte damit auf die Berichte über die Einschränkung der Zahl der Beschuldigten. "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen", kritisierte Reiter. Trotz der drohenden Widrigkeiten erwartet er einen Fortschritt für Opfer und Angehörige. "Die Erhebung der Anklage ist eine Erleichterung, weil die Hängepartie nach dreieinhalb Jahren endlich beendet wird. Allerdings ist die Reduzierung der Anzahl der Angeklagten keine Ermutigung für die Opfer."

Welche juristischen Schritte sind außerdem möglich?

Außer dem Strafprozess wird es voraussichtlich zivilrechtliche Klagen auf Schmerzensgeld und Schadenersatz geben. "Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, da die wirklich Verantwortlichen sonst nicht zur Rechenschaft gezogen werden und meine Mandanten nicht ausreichend entschädigt werden", sagt Anwältin Schönhof. Im Mai will sie im Namen von 30 Mandanten Klage gegen Lopavent-Chef Schaller, seine Firma, die Stadt sowie das Land Nordrhein-Westfalen als Dienstchef der Polizei einreichen. Nach der Katastrophe hatte das Land einen Notfallfonds eingerichtet. Zwei Millionen Euro wurden an Hinterbliebene und Verletzte gezahlt. Der Haftpflichtversicherer des Veranstalters trat vor einem absehbar langwierigen Gerichtsverfahren in Vorleistung. Gut 500 Betroffene hätten sich gemeldet, teilt die Axa-Versicherung mit. Ihre Ansprüche reichen von kleinen Sach- bis zu schweren Personenschäden. Anwälte kritisieren die Versicherung: "Bislang bietet sie Minimalentschädigungen als Vergleich an, die bei weitem nicht reichen", sagt Opferanwältin Schönhof. Statt angebotener Entschädigungen bis 10 000 Euro wolle sie für einige Mandanten 300 000 Euro erstreiten.

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