Amoklauf in Winnenden:"Rache an der ganzen Welt"

Die Psyche der jugendlichen Täter: Kriminologin Britta Bannenberg erklärt, warum es so schwierig ist, Amokläufer zu erkennen, bevor sie zuschlagen.

Joachim Käppner

Britta Bannenberg ist Professorin für Kriminologie an der Universität Gießen und Beraterin der Fallanalytiker ("Profiler") beim Bundeskriminalamt (BKA). Sie erklärt, warum es so schwer ist, Amokläufer zu erkennen, bevor sie zuschlagen.

winnenden ddp

Einschusslöcher in einer Scheibe des Autohauses, in dem der Amoklauf endete

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Nach einer schrecklichen Tat wie dem Amoklauf von Winnenden fragen alle: Hätte man die Gefahr nicht erahnen können?

Bannenberg: Leider ist das sehr schwierig. In der Pubertät klopfen Jugendliche gern harte Sprüche und sagen schon mal: "Ich bring die um!" Die Lehrerin etwa, die ihnen schlechte Noten gegeben hat.

SZ: Aber wenige meinen das ernst.

Bannenberg: Gewiss. Aber manche eben doch. Wenn ein Junge nicht seine Hausaufgaben in sein Heft schreibt, sondern "Das Leben ist Scheiße" oder "Ich mache euch alle fertig" oder al-Qaida preist, dann müssten die Warnsignale schrillen. Alle jugendlichen Amokläufer haben ihre Taten angekündigt: nicht mit Ort und Zeit, natürlich. Aber sie haben vielleicht auf dem Hof zu Mitschülern über eine Lehrerin gesagt: "So ein Amokläufer in den USA hat das neulich super gemacht. Wenn ich die Frau sehe, würde ich gern dasselbe tun."

SZ: Was sollten die Lehrer dann tun?

Bannenberg: So schwer es oft fällt: die Polizei einschalten, das Gespräch mit den Eltern suchen. Die Eltern sind aber ein großes Problem. Oft wissen sie, dass mit ihrem Jungen etwas nicht stimmt. Dass sie keinen Zugang mehr zu ihm haben, dass er sich in sein Zimmer zurückzieht, am Computer stundenlang Gewaltspiele spielt. Die Eltern wollen das nicht wahrhaben, sie scheuen Psychiater und Therapien. Dann würde ein Bild zerbrechen, das sie von sich selbst haben oder haben wollen. Interessanterweise kommen die meisten jugendlichen Amokläufer nicht aus verwahrlosten Milieus, sondern aus Familien der Mittelschicht.

SZ: Haben sie im Elternhaus als Kinder Gewalt erfahren?

Bannenberg: Nein. Eigentlich nur selten. Was sie meist erlebt haben, sind massive Störungen in der Kommunikation. Sie verabscheuen physische Gewalt sogar, haben große Angst vor Schulhofschlägereien. Erst in der Anonymität, verborgen hinter einer Maske und ausgerüstet mit einer Distanzwaffe, setzen sie selbst Gewalt ein.

SZ: Sind brutale Video- und PC-Spiele Auslöser für solche Taten?

Bannenberg: Das wäre zu einfach. Sie spielen aber eine wichtige Rolle, weil sich die späteren Täter oft in eine aggressive Phantasiewelt flüchten. Das Internet verstärkt die Verrohung, ist aber meist nicht ursächlich veranwortlich.

SZ: Was sind das für junge Menschen, die so abscheuliche Verbrechen begehen?

Bannenberg: Es sind junge Männer, fast nie Mädchen, und interessanterweise sind es nicht die Schläger vom Schulhof und die aggressiven Typen, sondern meist stille, zurückgezogene, sehr empfindliche Jungs, die Probleme mit Gleichaltrigen und mit Mädchen haben. Sie fühlen sich nicht akzeptiert, sehen sich als Versager.

SZ: Und in ihren Phantasien zahlen sie es allen heim?

Bannenberg: Sie steigern sich in die Rolle des schwarzen Rächers hinein, wie die um sich schießenden Helden in den Ego-Shooter-Spielen. Oft tragen Amokläufer schwarze Kleidung: ein Symbol für den Selbstmord, den sie nachher begehen wollen, und für die Rache. Rache, das wissen wir aus ihren Tagebüchern, ist das Grundmotiv: am Lehrer, an den Mitschülern, an der ganzen Welt.

SZ: Sind diese Jugendlichen wirklich schikaniert und gemobbt worden?

Bannenberg: Nein, meistens stimmt das gar nicht. Sie werden nicht gemobbt, sie fühlen sich gemobbt. Das ist der entscheidende Unterschied. Da kommen oft Narzissmus, Depression und Aggression zusammen.

SZ: An wem rächen sie sich aber dann, wenn sie kleinere Kinder in ihrer Schule erschießen? Die haben ihnen doch tatsächlich nichts getan.

Bannenberg: Darum geht es ihnen aber nicht. Es geht um die Schule an sich, die Lebenswelt dort, an der sie nicht teilhaben. Sie hassen die Schule, fühlen sich verhöhnt, wenn die anderen Schüler vielleicht nur harmlos kichern.

SZ: Wie hoch sind die Nachahmungseffekte bei Amokläufern?

Bannenberg: Sehr hoch. Auch wegen der Medien, die das Gesicht des Täters, seine Waffen, seine schwarze Kleidung zeigen und ein mystisches Bild von ihm zeichnen. Das wirkt wie ein Vorbild. Bei Selbstmorden sind die Medien sehr zurückhaltend, um nicht Nachahmer zu provozieren. Bei Amokläufen gilt leider das Gegenteil. Ab jetzt besteht die große Gefahr, dass wir es in den nächsten Wochen oder Monaten mit einem Nachahmungstäter zu tun bekommen.

SZ: Einen Tag vor dem deutschen Fall gab es einen Amoklauf in den USA - ob er das Vorbild, der Auslöser war?

Bannenberg: Vielleicht, aber ich glaube es eher nicht, das war zu kurz vorher und man hatte doch nur wenig erfahren. Dieser Täter dürfte seine Tat lange geplant haben und hätte sie wohl auch ohne die Parallele zu den USA begangen.

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