Aktionskunst:Kommissar Flex

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Im Stadium mehrpoliger Einsamkeit: Mikes Poppe hängt am Stein. (Foto: Mikes Poppe)

Ein Marmorblock, eine drei Meter lange Eisenkette, ein Meißel - und 19 Tage Zeit: Wie sich der belgische Performance-Künstler Mikes Poppe in einem Gerichtssaal von der Last der Vergangenheit befreite. Beziehungsweise befreien ließ.

Von Thilo Adam

Kunst, so heißt es ja viel zu oft, komme von Können. Nun konnte Mikes Poppe aber nun mal nicht. Und trotzdem dürfte die nun beendete Aktion "De Profundis" des Belgiers in manchen Kreisen als Kunst durchgehen. 19 Tage lang hatte der Antwerpener Poppe, 34, erfolglos versucht, sich von einem Marmorblock in einem Gerichtssaal in Ostende los zu meißeln. An den hatte er sich im Rahmen der Ausstellung "Das Floß/Kunst ist (nicht) einsam" ketten lassen, um symbolisch seinen Kampf gegen die Last der Geschichte, genauer: der Kunstgeschichte, nachzuspielen. "Ich habe erkannt, dass es nicht möglich ist, mich davon zu befreien", berichtet Poppe am Freitag am Telefon, als er endlich von der Kette gelassen wurde.

Es stimmt ja: Allein die Nischensparte Performance-Kunst verfügt über eine durchaus ehrfurchtgebietende Ahnengalerie. Alles schon mal da gewesen: Joseph Beuys erklärte einem toten Hasen Bilder, Chris Burden ließ sich an einen VW-Käfer nageln und Laurie Anderson stürmte - mit künstlich verzerrter "O Superman"-Gesangsstimme - in die Charts in Großbritannien.

Die Übermutter der Gattung, Marina Abramović, ging 1974 für "Rhythm 0" sogar so weit, ihren Körper den Besuchern einer Galerie in Neapel sechs Stunden lang komplett auszuliefern. 72 Gegenstände - von Federn, Rosen und Honig bis hin zu Skalpellen und einer geladenen Pistole - standen den Gästen zur Verfügung. Abramović überlebte, blutend. Und erst im vergangenen Februar hatte sich der Franzose Abraham Poincheval in einen Felsblock einmauern lassen. Dort harrte er eine Woche lang aus, nur mit etwas Trockenfleisch und Wasser und einem Container für Notdürfte unter seinem Hintern.

Dagegen nehmen sich die Entbehrungen, die der Belgier Mikes Poppe rund um seinen Marmorblock ertrug, noch recht komfortabel aus. Innerhalb des Drei-Meter-Radius', den ihm seine Kette gewährte, konnte er einen Schreibtisch, eine Matratze und ein Campingklo erreichen. Aber immerhin: "No phone, no computer." An Tag 14 postete jemand in seinem Namen auf Facebook, Mikes wolle sich für das Brathähnchen bedanken, das ihm ein Besucher an den Ausstellungsort geliefert habe. 44 Freunden gefiel das.

Mikes Poppes Versuchsanordnung bescherte ihm trotzdem ein Problem. Nach 19 Tagen nämlich wurde der Saal wieder anderwertig gebraucht - und Poppe hatte es noch nicht geschafft, sich von der Last der Vergangenheit zu trennen. Mit anderen Worten: Er hing immer noch am Marmorblock, Helfer mussten her. Erst ein Winkelschleifer mit 13 000 Umdrehungen pro Minute löste ihn von der Kette und beendete die Aktion. Ein paar Funken, fertig. Am Ende klatschte eine Handvoll Besucher artig und Poppe blinzelte gerührt. Seine Aktion hält er dennoch für einen künstlerischen Erfolg: "Ich bin mir sicher, dass ich den 2500 Ausstellungsbesuchern sehr viel über Hoffnung und Verlangen mitgegeben habe." Hoffnung, Verlangen - das ist ein weites Feld.

Poppe und seine Kuratoren sind sich sicher: Diese Performance zeigte einen unter der Schwere seiner ikonografischen Vorzeit leidenden Künstler "im Stadium seiner mehrpoligen Einsamkeit und extremen Konzentration". Wie gut, dass es den Winkelschleifer gibt.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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