Zwischenstopp nach der Schule:Bären und Gummibärchen

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Stolz auf ein eigenes Lesezimmer, das sie für Kinder eingerichtet hat, ist Buchhändlerin Wilma Horne. (Foto: Alessandra Schellnegger)

In Wilma Hornes Buchladen können Kinder naschen und lesen

Von Barbara Hordych, München

Sobald die Sonne tiefer steht und der Bürgersteig vor der Buchhandlung Horne am Bordeauxplatz im Schatten liegt, wandern sie wieder nach draußen: die niedrigen, bunt lackierten Holzstühle, die Papphocker - und natürlich das Wichtigste, die Holzkisten mit den vielen bunten Kinderbüchern. "Wir müssen warten, bis es schattig ist, sonst vergilben uns die Bücher", sagt Wilma Horne, die seit 23 Jahren die gleichnamige Buchhandlung in Haidhausen führt. Mit einem Fokus auf das Kinderbuch, "das uns sehr wichtig ist und rund 25 Prozent unseres Umsatzes ausmacht".

Unverzichtbar seien in den Kisten draußen vor der Tür derzeit die Stickerhefte, "seit etwa eineinhalb Jahren der absolute Renner bei den Kindern", sagt Horne. Zwar sind die glitzernden DIN-A-4-Hefte zu Themen wie "Popstars", "Mutige Berufe" oder "Traumhochzeit" eigentlich gar keine Bücher. Aber wer miterlebt, wie magisch angezogen die Kinder vom Erstlesealter an vor diesen Heften stehenbleiben und "noch eins" verlangen, der versteht, warum weder Eltern noch Buchhändlerin um die grellbunten Exemplare herumkommen. Der ermahnende Hinweis, "aber das hast du doch schon", verhallt dann völlig fruchtlos. "Ich will es noch einmal, damit ich die Figuren anders anziehen kann", argumentieren die Sprösslinge. Die Crux: Einmal geklebt, kann das Outfit nur noch mit dem Kauf eines neuen Heftes geändert werden.

Doch auch ohne Glitzer-Sticker besitzt die Buchhandlung Horne für viele Kinder aus der Nachbarschaft große Anziehungskraft. Schließlich gibt es dort einen Raum, der speziell für sie eingerichtet ist: Das "Kinderzimmer" misst rund 21 Quadratmeter und lädt zum Stöbern, Blättern und Verweilen ein. Im unteren Bereich finden sich die Papp- und Bilderbücher auf Augenhöhe für die Jüngsten, in den Regalen darüber sind die Bücher nach verschiedenen Sujets und die Taschenbücher nach Autoren für die Älteren angeordnet. Eine beigefarbene Ledercouch nimmt das Kopfende des Raums unter dem Fenster ein, auf der Lehne thront ein riesiger, lang gestreckter Eisbär, an den sich gleich mehrere Kinder nebeneinander gemütlich ankuscheln können beim Lesen. In diesem Raum verschwinden nicht nur schnell die Kinder, deren Eltern vorne bei Wilma Horne oder ihrer langjährigen Mitarbeiterin Claudia Raith einkaufen oder sich beraten lassen, sondern sie kommen auch ganz alleine, nach der Schule oder nach der Mittagsbetreuung.

Da gibt es die "Gummibärchenabonnenten", die nach der Mittagsbetreuung auf eine Handvoll Bärchen vorbeischauen und in den Neuerscheinungen blättern. Und es gibt die Kinder, die direkt nach der Schule vorbeikommen - mit einer klaren Ansage. "Die bitten mich: ,Sagst du mir um halb zwei Bescheid, dann muss ich heim' und verziehen sich zum Lesen ins Kinderzimmer", erzählt Wilma Horne schmunzelnd.

Erst im Alter von 14 bis 16 Jahren bricht diese junge Stammkundschaft weg. Zum einen, weil diese Altersgruppe dann weniger liest - und zum anderen, weil sie im Internet bestellt. "Wir haben aber schon das Gefühl, dass die Haidhauser auf uns aufpassen", sagt Wilma Horne. Sie und ihre Mitarbeiterin nehmen zwar Pakete für die ganze Nachbarschaft an, aber nicht von Onlinehändlern wie Amazon. Und die Nachbarn verfahren ebenso. Das weiß man eben voneinander in einer gut funktionierenden Stadtteilbuchhandlung, in der auch der Schlüssel verwahrt wird für den Müttertreffpunkt nebenan. "Den holen die Frauen dann zweimal in der Woche bei uns ab, wenn sie sich nachmittags dort treffen", erzählt Wilma Horne. Ein umfassendes soziales Konzept, das durchaus aufgeht. Etwa dann, wenn die ehemaligen Gummibärchenabonnenten nach der pubertären Lesepause als Erwachsene in den Buchladen zurückkehren, um Lesestoff für ihren eigenen Nachwuchs zu kaufen. Und für sich selbst.

© SZ vom 09.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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