Zwischen den Gleisen:Lebensgefährliche Selfies

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Jugendliche machen Fotos im Tunnel und legen den Zugverkehr lahm. Fotografieren auf Gleisen ist ein gefährlicher Trend

Von Martin Bernstein, München

Für ein vermeintlich cooles Foto haben sie mit ihrem Leben gespielt: Zwei Schülerinnen, 12 und 17 Jahre, waren am Pfingstmontag gegen 21 Uhr in einem Eisenbahntunnel nahe der Alten Messe auf der Schwanthalerhöhe unterwegs. Die mehrere hundert Meter lange Röhre liegt zwischen Ganghofer- und Radlkoferstraße. Die Schülerinnen hatten sich laut Bundespolizei mit Taschenlampen, einer Digitalkamera und einem Stativ ausgerüstet. Nach eigenen Angaben wollten sie "Fotos von sich im Tunnel machen", wie Polizeisprecher Wolfgang Hauner sagt.

Sogenannte Selfies im Gleisbereich gelten als gefährliche Modeerscheinung unter Jugendlichen, die sich dabei nicht selten von Werbeclips inspirieren lassen. Die Präventionsbeauftragte der Bundespolizeiinspektion München, Andrea Seefelder, führte im vergangenen Jahr zehn mahnende Gespräche mit erwischten Jugendlichen - in diesem Jahr sind es bereits acht. Im Bereich Augsburg wurden zwischen Januar und Mai 27 Kinder und Jugendliche im Gleisbereich geschnappt. Angesichts des Vorfalls vom Pfingstmontag sprach Seefelder von einer "neuen Qualität" bei den an sich schon lebensgefährlichen Selfies im Gleis: Das mitgebrachte Stativ lasse darauf schließen, dass es keine spontane dumme Idee war, sondern ein mit Bedacht gefasster Entschluss. Im Tunnel erhöhe sich die Gefahr bei derartigen Aufnahmen, da die Lokführer die Personen dort kaum mehr wahrnehmen könnten. Die Bundespolizisten, Experten für die Sicherheit an Bahnhöfen und Gleisanlagen, rechnen vor: Ein Zug, der sich mit 160 Stundenkilometern nähert, benötigt nur 2,27 Sekunden für 100 Meter. Sein Bremsweg beträgt deshalb oft mehrere hundert Meter.

Nachdem am Montag die Bundes- und Landespolizei von einem Augenzeugen über die Notrufnummer 110 alarmiert worden waren, wurde der Zugverkehr auf der Strecke sofort eingestellt - betroffen waren sowohl Fernzüge als auch die Linie S 7. Im Bahntunnel stellte eine Streife der Bundespolizei die Mädchen schließlich und übergab sie an ihre Eltern. Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sich noch weitere Kinder oder Jugendliche im Tunnel versteckt hielten, wurde die dunkle Bahnröhre mit einem Diensthund abgesucht. Der Speicherchips der Kamera wurde zur Auswertung sichergestellt. Die beiden Mädchen werden - gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten - am Mittwoch zu einem Präventionsgespräch zur Bundespolizei kommen müssen.

Dort waren am Dienstag bereits zwei 15-jährige Mädchen aus dem Landkreis Erding. Die beiden waren am 8. Mai auf einem Bahngleis bei St. Koloman (Landkreis Erding) nur durch eine Vollbremsung des Zugführers vor einer einfahrenden S-Bahn gerettet worden: Auch sie hatten für Fotos posiert.

© SZ vom 27.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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