Zwei Tage nach der Wiesn:Ein Bomben-Chaos

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Am Dienstag durchlebt München einen Stresstest besonderer Art: Erst legt eine Strickjacke die S-Bahn-Stammstrecke komplett lahm, dann findet sich im Deutschen Museum eine 250-Kilo-Fliegerbombe. Das Haus wird evakuiert, doch die Entschärfung zieht sich in die Länge

Von Martin Bernstein, Elisa Britzelmeier und Marco Völklein, München

Münchner, die gedacht hatten, nach der Wiesn würde herbstliche Normalität in ihre Stadt einkehren, wurden am Dienstag gründlich enttäuscht: Eine Jacke im Kontakt mit einer S-Bahn-Oberleitung und ein explosives Relikt des Zweiten Weltkriegs machten den zweiten Nach-Oktoberfest-Tag zum Chaostag. Auf der Stammstrecke ging stundenlang nichts mehr, auf den Straßen stauten sich die Autos - und gegen Mittag wurde das Umfeld der Museumsinsel wegen eines Fliegerbombenfunds gesperrt. Eine Entschärfung gelang zunächst nicht, sodass beschlossen wurde, die Bombe in einem Bunker in Oberschleißheim unschädlich zu machen. Um 21 Uhr wurde der Sprengkörper dann abtransportiert, um wenigstens dem Feierabendverkehr nicht in die Quere zu kommen.

Am späten Vormittag hatte der Fahrer eines Minibaggers Alarm geschlagen. Er sollte einen Gully im Besucherhof des Deutschen Museums versetzen und war auf das Metallteil gestoßen. Wolfgang M. Heckl, der Generaldirektor des weltgrößten Technikmuseums, lobte später den Baggerführer für seine schnelle Reaktion. Zum Glück waren an diesem Tag nur knapp tausend Besucher in dem Museum, sie wurden ebenso wie mehrere Hundert Museumsmitarbeiter aufgefordert, den Gebäudekomplex zu verlassen.

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(Foto: Robert Haas)

Das Deutsche Museum wurde nach dem Bombenfund evakuiert, die Mitarbeiter gingen nach Hause. Bis zum Abend war die Bombe nicht entschärft.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Nichts geht mehr: Am Isartor wurden die Zugänge zum Untergrund abgesperrt, die komplette Stammstrecke war über Stunden dicht.

Die Evakuierung des Museums klappte reibungslos, binnen weniger Minuten war der Gebäudekomplex leer. Polizeibeamte riegelten zunächst den Innenhof ab, die Bosch- und die Zenneckbrücke zur Museumsinsel wurden gesperrt. Später wurde der Sicherheitsbereich sukzessive erweitert: Auch Erhardt- und Zeppelinstraße waren auf Höhe der Museumsinsel zwei Stunden lang gesperrt. Experten der Berufsfeuerwehr und der Kampfmittelbeseitigungsfirma Tauber identifizierten den Sprengkörper: Es handelte sich um einen im Fachjargon "Zerscheller" genannten Überrest einer nicht detonierten, aber in der Luft oder beim Aufschlag zerbrochenen amerikanischen 250-Kilogramm-Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg.

Es war der erste Fliegerbombenfund auf der im Krieg schwer getroffenen Museumsinsel. Das Vorderteil der Bombe steckte etwa eineinhalb Meter tief im Boden. Der Zünder war noch intakt. Rund 40 von ursprünglich 120 Kilogramm Sprengstoff waren nach Schätzung der Fachleute noch vorhanden. Zunächst war vorgesehen, die Bombe an Ort und Stelle zu entschärfen. Nach der vollständigen Freilegung stellte sich das gefährliche Kriegsrelikt als zu verrostet heraus. Kurz nach 14 Uhr beschlossen dann die Verantwortlichen des Sprengkommandos München, der Feuerwehr, der Polizei und des Deutschen Museums, die Entschärfung der Bombe auf dem Areal des Sprengkommandos in Oberschleißheim durchführen zu lassen.

Der Fund dieser Bombe im Innenhof versetzte das Deutsche Museum in einen Ausnahmezustand. (Foto: Polizei)

Auf dem rund 2,5 Hektar großen Gelände im Norden Münchens, das als Zwischenlager für Kampfmittel dient, gibt es Sprengbunker. Dort soll die Bombe zersägt werden. Bei einer ungeplanten Detonation würde die Wucht der Explosion nach oben abgeleitet. Bis zum Abtransport am Abend bewachten Münchner Polizisten den Fundort. Das Deutsche Museum blieb am Dienstag geschlossen, die Mitarbeiter wurden nach Hause geschickt.

Bereits am frühen Morgen hatte ein Oberleitungsschaden im Tunnel unter der Innenstadt den S-Bahn-Verkehr komplett aus dem Takt gebracht. Schuld war, wie sich erst nach längerer Suche ergab, eine schwarze Strickjacke, die irgendwie auf dem Dach einer S-Bahn gelandet war, beim Fahren im Tunnel hochgewirbelt wurde und dann einen Kurzschluss verursacht hatte. Daraufhin schaltete die Technik automatisch die Stromzufuhr im Fahrdraht im Tunnel ab, die Stromabnehmer an den S-Bahnen in dem Bereich gingen herunter. Die Folge: Fünf Züge steckten zunächst in den unterirdischen Bahnhöfen fest. Zehntausende Passagiere kamen nicht mehr voran.

Die S-Bahn startete ein Notprogramm, führte unter anderem die S 8 über den Bahn-Südring von Pasing zum Ostbahnhof und zurück, ließ die S 2 aus Dachau kommend am Heimeranplatz wenden und die Fahrgäste der S 1 von Freising/Flughafen kommend in Moosach aussteigen. Auf den Straßen bildeten sich lange Staus, weil offenbar viele im Radio von den Problemen gehört hatten und aufs Auto umstiegen. Die Techniker der Bahn vermuteten zuerst, dass die Ursache für den Kurzschluss am Hauptbahnhof zu finden sei - und versuchten erst dort den Fehler zu beheben. Später stellte sich heraus, dass die Strickjacke auf einer S-Bahn am Isartor den Kurzschluss ausgelöst hatte. Daher konnte die Bahn erst wieder gegen 12.30 Uhr den Betrieb aufnehmen - gut sechs Stunden nach Auftreten des Fehlers.

© SZ vom 07.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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