Zu schade zum Wegwerfen:Aus Alt mach Neu

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Unter dem Begriff Upcycling wird aufgewertet statt entsorgt. So kreieren Modeschaffende aus alten Warnwesten hübsche Taschen und aus Vorhängen Kimonos - den Münchnern gefällt das, nicht nur wegen der Nachhaltigkeit

Von Franziska Gerlach

Es gibt Dinge, die können ihre Vergangenheit nicht verleugnen. Agnes Fuchsloch schlüpft gerade in ein solches Ding, das Senfgelb im Muster steht ihr fantastisch. "Das war mal ein Vorhang", sagt die Leiterin des Secondhandladens "Vinty´s", den die Hilfsorganisation "Aktion Hoffnung" an der Landsberger Straße betreibt. Jetzt ist es eine Kimonojacke, sie gehört zu der kleinen Kollektion, die aus Stoffspenden entstanden ist. Upcycling nennt sich das, wenn Altes zu Neuem umgemodelt wird. Anders als beim Recyceln laufen Rohstoffe nicht über ein Fließband, sondern durch die Hände von Künstlern oder Modeschaffenden. Der Bezug eines Cordsofas wird dann zu einer Mütze, ein Segeltuch zu einer Lampe, das Meiste ist nachher schöner als zuvor.

"Durch Upcycling wird etwas aufgewertet", sagt Constance Becker, die Produkt-Textildesign studiert hat und Taschen aus Warnwesten entwirft. Die kreative Gemeinschaft des Giesinger Atelierladens Siebenmachen hat in diesen Tagen ebenfalls einen Verkaufstisch mit Upcycling-Produkten aufgebaut. Mit Emmy Galle und Bruno Winter von Tuba Design gewann 2015 sogar an ein Münchner Designerteam den Deutschen Recycling Designpreis. "Den Löffel abgeben - Alltagsbesteck" heißt ihr Projekt, bei dem ausgediente Löffel, Gabeln und Messer mit einer Emaillebeschichtung veredelt werden. Im Mai 2014 organisierte der Verein Energiebildner die erste "Fair Cycle", knapp 50 Aussteller zeigten ihre Produkte in der Reithalle. Auch die Münchner Volkshochschule bietet eigene Upcycling-Kurse an. Und die würden sehr gut angenommen, ist dort zu erfahren.

München upcycelt also gerade recht eifrig. Ein Trend? Durchaus. Neu ist er aber nicht. Bereits in den Neunzigerjahren fertigte die Outdoor-Marke Patagonia Fleecepullover aus Plastikflaschen, wie Sabine Resch weiß, die Studienleiterin für den Bereich Modejournalismus an der Akademie Mode & Design (AMD) in München ist. Eine noch frühere Form stellt das Umnähen von Tischdecken zu Dirndlschürzen im München der Nachkriegsjahre dar. "Der Not-Look der Trümmerfrauen war ein Upcycling par excellence", sagt Resch. Upcycling versteht sie als Phänomen eines auf Entschleunigung ausgerichteten Zeitgeistes, es gehe einher mit der Lust auf ein individuelleres Erscheinungsbild, einer neuen Wertschätzung des Handwerks und der Freude am Selbermachen.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Stephanie Müller setzt ganz auf alte Materialien. Ihr macht es Spaß, daraus interessante und hochmodische Kleidung zu entwerfen.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Diese Flaschenöffner waren mal Kickermännchen. Es gibt sie im Laden "Sieben machen".

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(Foto: Stephan Rumpf)

Dort präsentiert Stefanie Ramb auch ihre Taschen, die sie aus nicht mehr benötigten Fahnen herstellt.

Gegenstände auseinanderzunehmen, regelrecht zu sezieren, und ihnen anschließend eine neue Bedeutung zu geben, dieser Prozess reizt Stephanie Müller seit mehr als zehn Jahren. "Ich mag es, wenn etwas weiter geht und die Geschichte nicht abreißt", sagt sie. Während andere auch dazu gekaufte Reißverschlüsse oder Knöpfe verarbeiten, beschränkt sich die Künstlerin, so gut es geht, auf Altes. Materialknappheit ist für sie der beste Ideenlieferant, auch wenn eine Collage aus unterschiedlichen Versatzstücken gewiss mehr Arbeit macht als das Nähen nach einem Schnittmuster. "Da kommt man zu ganz neuen Entwürfen", sagt sie.

Der mit raffinierten Falten versehene Rock, den Stephanie Müller in ihrer Werkstatt im Kistlerhof in die Höhe hält, besteht aus dem wasserabweisenden Stoff eines Polizeimantels. Gefärbte Mullbinden und Teile von Tastaturen finden bei ihr zu textilen Skulpturen zusammen, die der bildenden Kunst oft näher sind als dem, was man sich unter Mode vorstellt. Inzwischen wird Müller von Universitäten für Upcycling-Workshops gebucht, auch für Flüchtlingsmädchen und junge Erwachsene, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren, hat sie Kurse abgehalten. Andere an ihrem Wissen teilhaben zu lassen, ihnen von subversiven Ansätzen in der Mode zu berichten, bringt ihr Spaß. Die Faszination liegt nicht mehr nur im Selbermachen, sondern auch im Austausch mit anderen.

Die einen machen sich an das Veredeln von Abfall mit dem hehren Anspruch, den Kreislauf aus Konsum und Wegwerfen durchbrechen zu wollen. Die anderen hoffen darauf, mit ihren Nischenprodukten den Geschmack der Individualisten zu treffen. In vielen Fällen geht es darum, das eine mit dem anderen zu verbinden. Constance Becker spielt im Entwurf mit einem Gegenstand, den man überall kennt, auch wenn unterschiedliche Aspekte an ihrer Tasche aus Warnwestenstoff geschätzt werden, die 2012 mit dem Recycling Designpreis ausgezeichnet wurde. Eine ältere Dame erhofft sich davon vielleicht Sicherheit, weil die Streifen im Dunkeln leuchten, der Skandinavier mag womöglich das innovative Design, einem Südeuropäer gefallen die leuchtenden Farben. "Den Wiedererkennungseffekt aber haben alle."

Aus alten Feuerlöschern kann man individuelle Kerzenhalter und Lampen machen - wie die Exponate im Upcycling-Laden zeigen. (Foto: Stephan Rumpf)

Stefanie Ramb kam über das Umfunktionieren von Ikea-Tüten zum Upcycling. Inzwischen ist sie bekannt dafür, von der Hängematte bis zum Autogurt alles zu verwerten, immer wieder bekommt sie Material für ihr Label "Krambeutel" geschenkt. Aus Bannern des Studentenwerks fertigt sie Taschen, aus Lederresten näht sie Federmäppchen mit Mäusegesicht. Damit Geld zu verdienen, ist für Ramb, die außerdem für die Hörspiel-Redaktion des BR tätig ist, völlig legitim. "Das ist ein ganz normaler Teil der Einnahmen." Stephanie Müller ist allerdings schon dafür kritisiert worden, ihre Kreationen sehr günstig anzubieten - das entwerte die Arbeit derjenigen, die vom Upcycling leben wollen. Und "Fair Cycle" sollte zwar zu einem Umdenken im Konsumverhalten beitragen, zugleich war Birgit Baindl vom Verein Energiebildner aber klar, dass es auf Messen und Märkten ums Verkaufen geht. "Das war für mich auch ein Zwiespalt", sagt sie.

Ein Zufall war es sicher nicht, dass der Sportartikelhersteller Adidas zum Klimagipfel in Paris einen Schuh aus recycelten Meeresabfällen präsentiert hat. Wer bei H&M eine Tüte ausrangierter Klamotten zur Wiederverwertung abgibt, erhält 15 Prozent Rabatt auf den Kauf eines neuen Artikels. Das kann man natürlich als PR-Coup interpretieren oder anmahnen, letztlich werde dadurch ja doch wieder zum Konsum animiert. Agnes Fuchsloch von Vinty´s will solche Maßnahmen aber nicht verteufeln, sie sieht darin auch die Chance, Leute zu erreichen, die sich bislang noch keine Gedanken um Nachhaltigkeit machten. Auf einem kleinen Tisch breitet sie eine kurze Jacke aus, eine ausgebleichte Linie im Stoff läuft den Rücken hinab - für Fuchsloch kein Makel, sondern eine Besonderheit. Die auf Nachhaltigkeit bedachten Münchner sehen das ähnlich. Weil die Upcyling-Kollektion gut ankommt, soll ein "fixes Angebot" daraus werden, die Erlöse fließen in Entwicklungsprojekte. Dass mit größerer Stückzahl der Charme des Individuellen abhanden kommen könnte, fürchtet Fuchsloch nicht. "Natürlich ist es etwas Besonderes, wenn man sagen kann, das ist die Jacke aus Frau Müllers Vorhang", sagt sie. Eine Jacke sei aber nicht weniger schön, nur weil es sie mehrfach gebe.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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