Zeitzeuge:Wie ein Stromausfall im Herzen

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Als Zeitzeugen zum Thema Rassismus in den USA befragen die Schüler der Sarré-Musikakademie Don Halfkenny. Der gibt ausführlich Auskunft. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Don Halfkenny, ehemaliger Leibwächter von Martin Luther King, erzählt Schülern von seinem Leben mit dem Bürgerrechtler und eigenen Rassismuserfahrungen

Von Barbara Hordych

"Waren Sie dabei, als Martin Luther King getötet wurde?" Die drängendste Frage stellt ein junges Mädchen. Sie ist eine von etwa vierzig Schülern der Sarré-Musikakademie, die am Samstag Don Halfkenny, den Bürgerrechtler und ehemaligen Leibwächter von Martin Luther King, in ihren Probenraum eingeladen haben. "Nein, das war ich nicht", antwortet Halfkenny, 69 Jahre alt, eine athletische Erscheinung in hellblauem Hemd und dunkler Hose. Und dann berichtet er im Pfarrsaal von St. Maximilian aus seiner alten Heimat, von der allgegenwärtigen Rassentrennung in den Lokalen, Schulen und Bussen, so war es dort üblich in den 1950er- und 1960er-Jahren. Er erzählt auch von seiner ersten persönlichen Erfahrung mit Rassismus. Da war er sechs Jahre alt und durfte keinen Kontakt mehr zu seiner weißen Klassenkameradin haben, weil deren Eltern es verboten. Später wurden er und fünf andere afroamerikanische Schüler in Boston von einem Lehrer auf die Highschool weitergeschickt - "und die weißen Jungs ließen uns nicht in die Schule", so berichtet Halfkenny den Akademieschülern von Verena Sarré. Mit Rassismus haben sie sich in den vergangenen Monaten alle auseinandergesetzt, weil sie für ihr neues Stück proben: "Starke Kids! Für Toleranz!".

Als Martin Luther King am 4. April 1968 in Memphis, Tennessee, auf dem Balkon seines Motels von einem Rassisten erschossen wurde, war Halfkenny also nicht dabei. Denn zwei Tage vor dem Attentat war sein Sohn zur Welt gekommen und er bei seiner Frau in Boston. "Wie haben Sie reagiert, als sie von seinem Tod erfuhren?", will eine junge Zuhörerin wissen. Halfkenny überlegt. "Das war wie ein Stromausfall in deinem Herzen", so beschreibt er sein Gefühl. Was das Besondere an Martin Luther King war, wollen die jungen Zuhörer erfahren. "Er war charismatisch, so etwas wie eine Galionsfigur für uns alle", sagt Halfkenny. Ein "unglaublich guter Redner", der schon in der Schule Rhetorikwettbewerbe gewonnen hatte. "Seine Ideen teilten viele; aber keiner konnte wie er zu den Menschen sprechen. Deshalb wollten alle immer, dass er die Bürgerrechtsbewegung vertrat. So wuchs er in diese Position hinein", sagt Halfkenny in gut verständlichem Deutsch. Seit 1984 lebt er in Deutschland, er ist Dozent für traditionelle chinesische Medizin und führt gemeinsam mit seiner Frau eine Praxis in Starnberg.

Kennengelernt hatte er den Menschenrechtsaktivisten 1962 an der Boston University in Massachusetts, wo King seine Doktorarbeit geschrieben hatte und wohin er später öfter zurückkehrte. Ein Prediger lud ihn zu einem Empfang ein, "das war für mich so, als wenn ihr heute bei einem Popstar die Möglichkeit bekommt, backstage zu sein", sagt Halfkenny. Als er kurze Zeit später gefragt wurde, ob er als Organisator Verantwortung für die Sicherheit von "Dr. King" übernehmen wolle, war er erst 18 Jahre alt. Und damit der Jüngste - "aber Größte" - unter Kings Leibwächtern.

Er sei kein Bodyguard gewesen, wie man ihn aus Hollywoodfilmen kenne, betont Halfkenny. Sondern er war für die Sicherheit bei Kings Auftritten in den sechs Neu-England-Staaten verantwortlich. "Ich behielt sein ganzes Umfeld im Auge, die Polizei, die Hooligans, ich passte auf, dass ihm niemand zu nahe kam." Eine Waffe habe er dabei nicht getragen. Wie man dann jemanden vor einem Angreifer schützen könne, fragt der 17-jährige Stefan. "Indem man ihn umarmt", sagt Halfkenny schmunzelnd, steht auf und bittet den Jungen, das Gleiche zu tun. "Versuch mal, an mir vorbeizukommen", fordert er Stefan auf. Als er sich an dem hoch aufgerichteten Halfkenny vorbeidrängen will, umklammert der ihn mit seinen Armen. Kein Auskommen. Jetzt hat der junge Mann verstanden.

Woher er die Kraft genommen habe, immer weiterzumachen, obwohl er bei Demonstrationen so oft festgenommen wurde, will ein Zuhörer wissen. "Ich war eben stur", sagt Halfkenny. Und setzt hinzu: "Das ist wie beim Fußballspiel - wenn du da verletzt wirst, hörst du dann auf zu spielen?" Natürlich nicht, antwortet der Angesprochene. "So war es auch bei mir. Du machst weiter. Schließlich ist da auch noch die Mannschaft. Und für die trägst du mit die Verantwortung. Das ist genau dasselbe Gefühl wie damals."

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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