Zeitzeuge:Laken oder Fahne?

Heinrich Frey hat die Ankunft der Amerikaner verschlafen

"In Unterföhring hatten wir meist Glück, aber wir sahen in den Bombennächten den Feuerschein über München. Der Himmel war taghell erleuchtet, wie heute beim Oktoberfest. Das fand ich als Neunjähriger sehr gruselig. Wenn der Fliegeralarm auslöste, horchten wir, wo die Flugzeuge entlangflogen und suchten den Himmel mit dem Fernglas nach Kondensstreifen ab. In den Luftschutzkeller sind wir so spät wie möglich gegangen. Dort rauchte die Nachbarin Kette, meine Mutter betete, und meine Schwester heulte. Das Radio hatte keinen Empfang, aber den explosiven Knall der Flak hat man immer gehört.

Kurz bevor die Amerikaner kamen, saßen wir im Haus. Ich war genervt, weil ich nicht raus durfte. Hörten wir Motorengeräusche, wussten wir, dass sich Soldaten nähern. Denn den paar Autos, die es im Ort gab, war schon lange das Benzin ausgegangen. Kamen Soldaten, mussten wir uns entscheiden: Hängen wir das Bettlaken für die Amerikaner aus dem Fenster oder die Hakenkreuzfahnen für die Deutschen? Weil mir das Hin und Her zu viel war, habe ich mich zum Schlafen auf die Küchenbank gelegt. Als ich aufwachte, stand ein amerikanischer Soldat vor mir. Er lachte und steckte mir einfach ein Stück Schokolade in den Mund. Der war mir natürlich sofort sympathisch. In den Wochen nach Kriegsende wohnten fünf Besatzungssoldaten bei uns. Ein Texaner hat uns Kindern besonders imponiert. Mit einer Pistole und einem Revolver hat er im Wechsel die Spitzen vom Zaun des Nachbarn geschossen."

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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