"Wenn ein Leben in Gefahr ist, muss man helfen":Mutig, engagiert, geduldet

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Einer Verkäuferin am Münchner Hauptbahnhof half Jalal Abdallah durch sein couragiertes Eintreten gegen einen Randalierer. Der 47-Jährige sitzt seit einem Terroranschlag im Irak im Rollstuhl. (Foto: Hartmut Pöstges)

Obwohl er im Rollstuhl sitzt, greift der in Geretsried lebende Jalal Abdallah in einem Laden am Hauptbahnhof in München ein, als ein Mann gewalttätig wird. Die Polizei lobt seine Courage. Sein Asylantrag wurde jedoch abgelehnt

Von Katharina Schmid, Geretsried/München

Als alle anderen nur zusahen, griff er ein: Jalal Abdallah,ein 47-jähriger Iraker, der derzeit in der Flüchtlingsunterkunft in Geretsried lebt. Wie die Bundespolizei aufgrund von länger andauernden Ermittlungen kürzlich mitteilte, schritt der schwerbehinderte Rollstuhlfahrer schon im Januar beherzt ein, als die Verkäuferin eines Tabakwarengeschäfts am Münchner Hauptbahnhof von einem Mann bedroht wurde. "Die Bundespolizei dankt dem Helfer für seine Zivilcourage", heißt es in dem Schreiben.

Abdallah wurde Zeuge des Vorfalls, als er gerade auf dem Nachhauseweg von Augsburg nach Geretsried war. Ein 48-jähriger Mann hatte den Tabakladen betreten, um dort Zigaretten zu kaufen. Er wollte mit einer EC-Karte bezahlen. Weil die Verkäuferin ob des "ausländischen Aussehens" des Mannes und des "ungewöhnlich deutsch klingenden Namens auf der EC-Karte" stutzig wurde, fragte sie den Kunden nach seinem Ausweis. Dieser händigte ihr ein Identitätspapier in kyrillischer Schift aus. Als die 44 Jahre alte Verkäuferin daraufhin die Polizei informieren wollte, wurde der Mann gewalttätig. Er schlug erst mit der Faust auf den Tisch, dann nach der Frau hinter der Theke.

Zahlreiche Passanten beobachteten die Szene durch die Fenster des Geschäfts, niemand schritt jedoch ein. Außer Jalal Abdallah. Obwohl er im Rollstuhl sitzt, kam er in das Geschäft und versuchte, den Gewalttäter durch beschwichtigende Gesten und Worte von seinem Handeln abzubringen. "Ich hatte lautes Rufen gehört", erinnert er sich an den Abend des 22. Januars, "aber die Leute schauten nur zu." Er sei dazwischengegangen, denn für ihn sei klar: "Wenn ein Leben in Gefahr ist, muss man helfen. Das ist eine Pflicht." Das sagt Jalal Abdallah auf Englisch.

Als er sich in die Situation in dem Laden einmischte, wandte sich der Randalierer ihm zu und fuchtelte mit mehreren harten Platten, die er zuvor von der Verkaufstheke genommen hatte, vor ihm herum. Er habe dem Mann nicht zeigen wollen, dass er Angst hatte in diesem Moment, erzählt Abdallah - und habe versucht, dessen Hand zu packen. Dabei kamen ihm kurz darauf zwei Männer zu Hilfe, die das Geschäft nach ihm betraten, dem 48-Jährigen schließlich die Platten abnahmen und ihn kurz darauf einer alarmierten Streife der Bundespolizei übergaben.

Gegen den Randalierer steht nun der Verdacht der versuchten gefährlichen Körperverletzung sowie der Nötigung im Raum. Die Ermittlungen hätten zudem ergeben, dass der wohnsitzlose 48-Jährige die EC-Karte vermutlich zuvor unterschlagen hatte. Der Eigentümer hatte sie in einem Geldautomaten stecken lassen. Auf den Mann komme daher gegebenenfalls noch eine Anzeige wegen Fundunterschlagung zu, teilt die Polizei mit. Das couragierte Eintreten von Abdallah habe wohl dazu geführt, dass die Gewalttat nicht weiter eskalierte.

Abdallah war 2015 aus dem Irak nach Deutschland gekommen. In seinem Heimatland war seine Schwester bei einem Terroranschlag getötet worden. Er selbst wurde dabei schwer verletzt, seither sitzt er im Rollstuhl. Abdallah lebte anfangs in Germering, wo er als "Asylmittler" bei der Stadt engagiert war. 2017 musste er nach Geretsried umziehen. Auch dort engagiert sich der Akademiker, der Arabisch, Kurdisch, Farsi und Englisch fließend sowie ausreichend Deutsch spricht, beispielsweise als Übersetzer und begleitet andere geflüchtete Menschen zu Behörden oder zum Arzt. Abdallah ist momentan in Deutschland geduldet. Er kann nicht nachvollziehen, warum sein Asylgesuch abgelehnt wurde: "Ich versuche, dem Land etwas Gutes zu geben, und hier gibt man mir keine Chance."

© SZ vom 09.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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