Verhütung von Straftaten:Oberstes Ziel: Schutz der Opfer

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Den Schutz der Opfer findet sie wichtiger als das Verständnis für die Täter: Die Juristin Helgard van Huellen. (Foto: Manfred Neubauer)

Seit 25 Jahren ist der Weiße Ring im Landkreis vertreten und setzt sich für Menschen ein, die von einer Straftat betroffen sind. Vorsitzende Helgard van Huellen über die Bedeutung der Organisation

Von Thekla Krausseneck, Bad Tölz-Wolfratshausen

Als Helgard van Hüllen mitten im Jurastudium war, hörte sie einen Professor sagen: "Sie müssen immer überlegen, wer schutzwürdiger ist, der Täter oder das nächste Opfer." Diesen Satz hat die heute 73-jährige Gaißacherin nicht nur verinnerlicht, sie weiß auch, woher er damals kam: Ihr Studium habe zu einer Zeit stattgefunden, "die total täterorientiert war", sagt sie. "Es ging nur um die Frage, warum die Täter zu Täter geworden sind, und weniger um die Frage, was aus den Opfern geworden ist."

Aus diesem Klima ging vor fast 40 Jahren der gemeinnützige Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten hervor, heute bekannt als "Weißer Ring". Seit 14 Jahren leitet van Hüllen die Bad Tölz-Wolfratshauser Außenstelle des Rings, die heuer seit einem Vierteljahrhundert besteht. Gemeinsam mit zwölf ehrenamtlichen Mitarbeitern betreut die Juristin jährlich im Schnitt 100 Fälle - die einen rufen an, um sich auszusprechen, die anderen wollen sich eingehend informieren, was in Telefonate mündet, die "schon mal eine ganze Stunde dauern können", sagt van Hüllen.

Dabei sind auch schwierige Fälle: Menschen, die sexuellen Missbrauch in der Kindheit oder häusliche Gewalt erlebt haben - oder noch erleben. Denen bietet der Weiße Ring eine Bezugs- und Vertrauensperson, die juristische Schritte erörtert, beim Ausfüllen von Anträgen hilft oder Opfer zur Polizei begleitet, sollte es nötig sein.

Als Außenstellenleiterin erlebt man einiges - einerseits den traurigen Alltag des sexuellen Missbrauchs, einer der häufigsten Gründe für einen Anruf, andererseits auch skurrile Episoden. Einmal habe sie nachts um halb fünf einen Anruf bekommen, erinnert sich van Hüllen: Eine Frau sei dran gewesen, die ihr eine wilde Geschichte von einer Südseeinsel, einer gestohlenen Identität und einer Hubschrauberflucht erzählt habe. All die Zeit habe sie selbst kaum etwas gesagt, gesteht van Hüllen, ab und zu "Ja" und "Hmm", und damit doch alles richtig gemacht: Die Frau habe am Ende gesagt, dass es ihr besser gehe. "Es klang, als wenn jemand nicht ganz richtig tickt", sagt van Hüllen. Doch dann habe sie mit der Polizei darüber gesprochen, die das völlig anders sah und van Hüllen um Daten bat. Irgendetwas müsse sich danach getan haben, sagt van Hüllen, denn einige Zeit später habe sie die Stimme jener Frau auf dem Anrufbeantworter gehabt, diesmal mit einem Dank für ihre Hilfe.

Geschichten wie diese lassen sich amüsant erzählen, haben beim Weißen Ring jedoch Seltenheitswert. Die Opfer, die sich wegen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit melden, sind zwischen 20 und 50 Jahre alt, manche haben ihre Erfahrungen in der Kirche gemacht - auch im Landkreis. Die Schuldigen seien jedoch nicht mehr in Amt und Würden, sagt van Hüllen. Häufig komme der Missbrauch in der Familie vor, die Opfer haben ihn noch nicht verarbeitet, wissen nicht, welche Möglichkeiten ihnen offen stehen, ob sie etwa eine Anzeige in Betracht ziehen oder die Sache ruhen lassen sollten. "Wir werden den Teufel tun, da einen konkreten Rat zu geben", sagt van Hüllen. "Wir können nur die Konsequenzen aufzeigen, die beides hat."

122 Mitglieder hat die Außenstelle Bad Tölz-Wolfratshausen, die mit ihren Jahresbeiträgen die Arbeit des Weißen Rings unterstützen. Im Vergleich zu anderen Landkreisen stehe die Außenstelle "nicht überragend" da, sagt van Hüllen: Ein paar Mitglieder mehr würden dringend gebraucht. Ein Argument für eine Mitgliedschaft seien die geringen Kosten: "2,50 Euro im Monat - das ist so viel wie eine Tasse Kaffee", sagt van Hüllen. Wer die Hilfe des Weißen Rings in Anspruch nehmen möchte, muss dafür kein Mitglied sein.

Festakt zum 25-jährigen Bestehen der Außenstelle, 17. November, 16.30 Uhr, Ratsstuben, Geretsried; Ehrengast: Justizminister Winfried Bausback.

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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