Szyszkas Klassiker:Reine Musik mit Nebenbedeutung

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Worin liegt der Reiz von Vivaldis "Vier Jahreszeiten"? Macht die Umschreibung des Jahreskreises, dessen Stimmungen jeder kennt, ihren Reiz aus? Nein, herausragende Musik ist auch ohne ihren außermusikalischen Inhalt schön

Von Reinhard Szyszka

Kann Musik, Instrumentalmusik, eine Bedeutung haben? Eine Bedeutung, die sich nicht aus dem Notentext erschließt, sondern darüber hinausgeht, ins "wirkliche Leben" eingreift? Im 19. Jahrhundert tobte über diese Frage ein heftiger Streit. Der Wiener Kritiker Eduard Hanslick war ein leidenschaftlicher und höchst eloquenter Verfechter der "absoluten Musik". Hanslick unterstützte Komponisten wie Brahms, die über das, woran sie beim Komponieren gedacht hatten, zumindest den Mund hielten. Auf der anderen Seite stand Franz Liszt mit seinen Sinfonischen Dichtungen, und darüber zog Hanslick mit aller Schärfe her, die seine Feder zu bieten hatte.

Dabei hatte es schon in der Barockzeit Instrumentalwerke mit erklärt außermusikalischem Inhalt gegeben. Eines der Cembalowerke von Bach dreht sich um die Abreise des geliebten Bruders. Das bekannteste Beispiel aus dem Barock sind jedoch die "Vier Jahreszeiten" von Vivaldi. Vier Violinkonzerte, jedes einer anderen Jahreszeit gewidmet, und zu jedem ist ein italienisches Sonett angegeben, das den Inhalt beschreibt. Die Musik gibt genau das wieder, was im Sonett steht, nicht mehr und nicht weniger, und hält sich dabei strikt an die Reihenfolge des Texts.

Was bedeutet das für den Hörer? Kann man die Musik nur zusammen mit dem Sonett verstehen? Muss man beim Zuhören den Text lesen und die Punkte abhaken? Die Antwort heißt in beiden Fällen nein - und das ist es, was die Beliebtheit dieser Musik ausmacht. Die Jahreszeiten sind eine allgemeine Erfahrung, in unseren Breiten sogar noch mehr als in Venedig, wo Vivaldi gewirkt hat. Wer die "Vier Jahreszeiten" hört, kann die Sonette komplett vergessen und findet doch die spezifische Stimmung jeder Jahreszeit im entsprechenden Concerto wieder. Die Schönheit der Musik, die Meisterschaft der Komposition Vivaldis tut ein Übriges. Und wer zusätzlich einen Blick in die Sonette wirft, entdeckt noch mehr als die bloße Stimmung einer Jahreszeit.

Denn das ist das Geheimnis der reinen Musik mit Nebenbedeutung: Es muss immer noch Musik bleiben. Der außermusikalische Inhalt darf sich nicht in den Vordergrund drängen und die Schönheit, die Schlüssigkeit der Musik beschädigen. Und da sind die "Vier Jahreszeiten" in erster Linie schöne, wunderschöne Musik, die in zweiter Linie auch noch eine Bedeutung hat. Eine Bedeutung nicht in irgendwelchen Heldengeschichten der Vergangenheit, sondern in allgemein gültigen Erfahrungen. Kein Wunder, dass die "Vier Jahreszeiten" auf der Beliebtheitsskala aller Vivaldi-Werke weit vornean stehen. Am kommenden Sonntag dirigiert Philipp Amelung in Ebenhausen die "Vier Jahreszeiten".

Sonntag, 12. November, 17 Uhr, St. Benedikt Ebenhausen: Konzert mit Christian Rohrbach (Altus), Rachel Harris (Violine) und dem Barockorchester La Banda, Leitung Philipp Amelung; Karten zu 20 Euro im Rathaus Icking, bei Schreibwaren Baumgartner Icking, Buchhandlung Isartal Ebenhausen, Schneider & Prell Wolfratshausen ; freier Eintritt für Schüler und Studenten

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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