Prozess gegen Wolfratshauser Klinik:Behandlungsfehler: Junge Frau in Lebensgefahr

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Nach einer Blinddarm-Operation in der Kreisklinik Wolfratshausen wäre eine heute 34-jährige Geretsriederin 2008 fast gestorben. Nun will sie 100 000 Euro Schadensersatz. Laut Gutachter schätzte der Arzt ihren Zustand "vollkommen falsch" ein

Von Andreas Salch, Wolfratshausen/München

Die Kreisklinik Wolfratshausen ist in einem Zivilverfahren vor dem Landgericht München II auf Schadenersatz in Höhe von 100 000 Euro verklagt worden. Ein Arzt der Chirurgischen Abteilung soll bei der Behandlung einer Frau aus Geretsried schwerwiegende Fehler gemacht haben. Das Leben der heute 34-Jährigen hing am seidenen Faden. Sie wäre fast gestorben.

Die Arzthaftungskammer am Landgericht München II befasste sich bereits vor fünf Jahren mit dem Fall. Weil es nicht zu einer Einigung kam, hatte das Gericht Gutachten in Auftrag gegeben. An diesem Dienstag sagte der ehemalige Direktor der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen als Sachverständiger aus. Nach seiner Auffassung hat der behandelenden Arzt den Zustand der Klägerin vollkommen falsch eingeschätzt.

Im Mai 2008 hatte sich die Geretsriederin in der Klinik am Moosbauerweg den Blinddarm entfernen lassen. Eine Woche später kam es zu lebensgefährlichen Komplikationen. Die damals 25-Jährige klagte über starke Bauchschmerzen. Sie begab sich am 4. Juni erneut in der Klinik und kam auf die Intensivstation. Die Frau musste sich ständig übergeben. Es vergingen mehrere Tage, in denen dem behandelnden Arzt nicht aufgefallen sein soll, dass bei seiner Patientin ein Verschluss des Dünndarms vorlag. Die Hinweise darauf, sagte der Sachverständige Professor Werner Hohenberger, hätten sich bereits am zweiten Tag nach der Aufnahme der jungen Frau erhärtet. Es hätte "eine weitere Diagnostik erfolgen müssen." Doch es geschah nichts. Das Pflegepersonal der Klinik soll der Geretsriedern vielmehr vorgeworfen haben, sie sei eine Simulantin.

Wären von den Ärzten weitere Untersuchungen vorgenommen worden, erklärte der Sachverständige, hätte man "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" festgestellt, dass ein Verschluss des Dünndarms vorliegt. Hätte man dies erkannt, hätte man spätestens am Abend des zweiten Tages operieren müssen. Dass jedoch nichts geschah, sei, so der Experte, "nicht nachvollziehbar".

Am dritten Tag musste die Geretsriedern stattdessen unter Schmerzen in die der Kreisklinik gegenüberliegende Radiologische Praxis laufen, wo Aufnahmen gemacht wurden. Die Bilder sah sich der behandelnde Arzt jedoch nicht an, sie lagen ihm nicht vor. Er habe nur eine telefonische Mitteilung von seinem Kollegen bekommen, sagte er vor Gericht.

Nach Überzeugung des Sachverständigen hätten er und der Radiologe sich die Aufnahmen gemeinsam ansehen müssen. "In einer klinisch unklaren Situation muss so etwas vom Krankenhaus aus geregelt werden." So aber sei die ganze Dramatik der Situation, in der sich die junge Frau inzwischen befunden habe, nicht erkannt worden. "Und das in einem Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität München", sagte die Anwältin der Klägerin, Rechtsanwältin Claudia Thinesse-Wiehofsky. "Das ist ein Fehler im System", wenn die Radiologie nicht in einer Klinik ist, pflichtete ihr der Sachverständige bei.

In der Nacht auf den 9. Juni 2008 verschlimmerte sich der Zustand der Geretsriederin so sehr, dass sie in das Innenstadtklinikum der Ludwig-Maximilians-Universität verlegt wurde. Die Ärzte versetzten sie in ein künstliches Koma und operierten sofort. Dabei kam es mehrmals zum Herzstillstand. Der ersten OP folgten drei weitere. Die Diagnose der Münchner Ärzte: Akuter Dünndarmverschluss, extreme Darmwucherungen, Blutvergiftung, Leberversagen sowie weitere schwerwiegende Befunde. "Dies alles ist wahrscheinlich Folge der in Wolfratshausen nicht durchgeführten OP", sagte der Sachverständige vor dem Landgericht München II.

Die 34-jährige Geretsriederin leidet noch heute als Folge der schweren Eingriffe unter Schmerzen und Taubheitsgefühlen. Ein Urteil wird das Gericht Ende des Jahres verkünden.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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