Nach dem Amoklauf:Gespenstische Stunden

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Am Abend des Amoklaufs sitzt Stadtrat Robert Lug aus Geretsried in einer verbarrikadierten Bar fest. 27 BRK-Helfer aus dem Landkreis werden von einer Übung weg nach München gerufen. Django Asül streicht Auftritt in Bad Tölz

Von Thekla Krausseneck und klaus schieder, Bad Tölz-Wolfratshausen

Unheimlich und gespenstisch sei München am Freitagabend gewesen, sagt Robert Lug. Stille in den Straßen, Menschen verbarrikadierten sich in Kellern. Der Geretsrieder Stadtrat Lug (FW) hatte an jenem Abend, an dem der 18-jährige David S. am Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen und dann sich selbst erschoss, Freunde vom Flughafen abgeholt. Als die Gruppe in einer Bar in der Prallerstraße einkehrte, wusste sie bereits, dass am OEZ gerade etwas Schlimmes passierte. Die Bar hatte wenig Kundschaft: Etliche hatten sic h geflüchtet. Aus einem angenehmen Abend unter Freunden wurden nervöse Stunden. Auch der Abend des BRK lief wegen des Amoklaufs nicht so wie geplant: Weil damit gerechnet wurde, dass der Bedarf an Rettungskräften steigen würde, wurden 27 Helfer aus Bad Tölz, Dietramszell, Wolfratshausen und Penzberg nach München gerufen. In Tölz sagte der Kabarettist Django Asül seinen Auftritt im "Summer Village" ab.

Das Lokal, das Lug mit seinen Freunden besuchte, liegt sehr zentral - direkt hinter dem Bayerischen Hof. Aus Angst vor Terroristen - "wir dachten, da laufen mehrere Leute durch die Stadt und schießen auf Passanten" - habe das Personal bald die Eingangstür abgesperrt und verbarrikadiert. Mit dem Smartphone habe er versucht, sich auf dem Laufenden zu halten, ohne zu wissen, ob er die Nacht noch nach Hause kommen würde. "Wir wussten nicht recht: Können wir wieder raus oder bleiben wir die ganze Nacht da sitzen?" Draußen hätten die Straßen ein unheimliches Bild geboten: menschenleer, bis auf paar einzelne Passanten, die sichtlich nach Hause oder ins Hotel eilten. Von Bekannten wusste er, dass sich einige Kunden kurz vor Ladenschluss in ein Schuhgeschäft gedrängt hätten. Gemeinsam mit dem Personal hätten sie sich in den Keller geflüchtet und bis vier Uhr morgens dort ausgeharrt.

So lange blieb Lug nicht in dem Lokal - gegen Mitternacht machte er sich im Auto auf nach Hause. Seltsame Gedanken seien ihm dabei gekommen: Ob es nicht klüger wäre, in die Wohnung eines Freunds nach Solln zu fahren, was weiter außerhalb läge als die Wohnung, die er an der Sendlinger Straße besitzt? "Aber wie hoch war schon die Wahrscheinlichkeit, dass die in unsere Wohnung eindringen würden", fragt Lug, der sich am Sonntagmittag über sich selbst wundert. Im Auto habe er sogar von innen die Tür verriegelt. Lug spricht von "trügerischer Sicherheit": Das Auto zu verbarrikadieren bringe wenig, wenn der Täter im Besitz von Schusswaffen sei. Beklemmend habe es sich auch angefühlt, auf die Straße zu treten, auf der sich kaum jemand aufgehalten habe. Am Samstagmorgen war das gespenstische Gefühl noch lange nicht verflogen. Als Lug in einem Modegeschäft eine Besorgung machen wollte, stand er vor verschlossenen Türen. Es war nicht das einzige Geschäft, das seine Kunden mit einem Zettel auf Montag vertröstete. Und das mitten in München, wo sich am Samstag normalerweise die ganze Welt trifft. "Ein sehr seltsames Gefühl", sagt Lug. Erst Sonntagmittag ist ihm bewusst, was wirklich passiert ist. "Wir sind froh, dass es kein Terroranschlag war", sagt er. "Das hilft den Opfern natürlich nicht, das ist mir klar."

Unterdessen waren 27 Rotkreuzhelfer aus dem Landkreis am Olympia-Einkaufszentrum im Einsatz. Sie waren mitten aus einer Großübung mit der Feuerwehr in einem Wald bei Bad Heilbrunn abgezogen worden. Mit drei Schnelleinsatzgruppen (SEG) fuhren die Sanitäter nach München. Dort hielt sich die Gruppe um Kreisbereitschaftsleiter Jörg Kastner bereit, um bei Bedarf im Stadtgebiet eingesetzt zu werden. "Gottlob war dann die Situation nicht so, dass wir aufgrund von noch mehr Verletzten Arbeit bekamen", so Kastner. Als der Täter tot aufgefunden wurde und die Lage sich beruhigte, durften die Sanitäter nach Hause fahren; da war es Mitternacht.

Der Amoklauf hatte auch Folgen für das "Summer Village" in Tölz. Django Asül strich seinen für Sonntagabend vorgesehenen Auftritt im Moraltpark. "Nach Feiern und Gaudi ist niemandem mehr", schreibt der Künstler auf seiner Facebook-Seite. Veranstalter Peter Frech hat dafür Verständnis. Das Programm des Kabarettisten enthalte auch einige Passagen, die sich um Terrorismus drehen - "das wäre in dem Fall unpassend", so Frech. Wer Karten für den gestrigen Abend hat, kann sie in den Vorverkaufsstellen zurückgeben. Ansonsten zieht Frech das Programm des "Summer Village" wie geplant durch. "Charity for Kids" - einen Chart-Wettbewerb für Kinder am Samstag - ließ er nicht ausfallen. Das sei für einen guten Zweck, eine Absage wäre da "die falsche Nachricht" gewesen. "Es ist schrecklich, was passiert ist", sagt Frech. Aber man dürfe Leuten wie dem Amokläufer damit nicht noch eine Plattform geben. Beim Open Air in Benediktbeuern ließ sich Musiker Gregor Meyle von den Ereignissen in München nicht irritieren. Er kam am Freitagabend etwa 50 Minuten zu spät und rief seinen Zuhörern zu: "Wir lassen uns davon nicht abhalten. Das wollen die doch nur erreichen!"

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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