Mítten in Schäftlarn:Knöderl und Knocherl

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Eine kurze Abhandlung über die Poesie auf bayerischen Speisekarten

Von Wolfgang Schäl

Pünktlich zum Beginn des Sommers entfaltet sich die bayerische Küche wieder zu ungeahnter verbaler Blüte, es ist die Zeit der Poeten am Herd, der zarten, gemütvollen Speisekartenlyriker. Diese genialen, meist vermutlich brauereigesteuerten Grenzgänger zwischen Kunst und Küche kultivieren eine Spielart der Dichtung, die in der Haute Cuisine wurzelt und mittlerweile einst urbayerisches Terrain wie beispielsweise den Schäftlarner Klostergarten erobert, oder sagen wir lieber: Sich seiner unmerklich sanft und sensibel bemächtigt.

An dieser ehrwürdigen und geschichtsträchtigen Stätte, wo einst kommentarlos der Schweinsbraten mit Knödeln auf den Tisch gestellt wurde, wahlweise konnte man ihn sich auch selber am Essensschalter holen, hält nun das Diminutivum Einzug, die Verniedlichungsform, die alles ein bisserl kleiner und leichter und dadurch umso begehrenswerter macht. Statt der erwähnten Knödel gibt es dort jetzt Knöderl, statt der Kartoffeln Kartofferl, statt der Suppe ein Supperl. Das liegt wahrscheinlich an den übersichtlichen Portionen in der Feinschmeckersparte, die im Klostergarten zum Glück noch nicht nachgeahmt werden, aber der Anspruch wächst erkennbar. Statt zum Schweinernen greift man jetzt gern auch zum Angus-Rind, das, wir zitieren, in folgender Version gereicht wird: "Gegrillte Streifen vom dry-aged Filet, acht Wochen am Knochen gereift, dazu ein mit bayerischen Erdbeeren und Parmesan verfeinertes, mit einem Preiselbeerdressing mariniertes Wildkräutersalatbouquet mit Baguette".

Wow! Am Knochen gereift, acht Wochen, das tendiert ja schon in Richtung Hautgout, den nekrophile Freunde des gut Abgehangenen insgeheim bevorzugen. Wir haben lang überlegt, ob wir uns stattdessen die "in der Knusperkruste gebratenen Weidelamm-Medaillons" bestellen sollten oder doch das "Matjes-Filet Hausfrauen-Art mit einer Soß' vom Tegernseer Heumilchjoghurt", zu der es "Ismaninger Salzkartofferl" gegeben hätte. Wir haben uns dann kurzentschlossen für einen gebratenen Leberkäs entschieden, den gibt es im Klostergarten zum Glück auch noch, frisch, mit Kartofferlsalat und ganz ohne Knochen. Noch!

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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