Mitten in Wolfratshausen:Eine Krücke in der S-Bahn

Bald sind Ferien. Dann ist es endlich auch mit den unvermeidlichen Jahresendausflügen der Schulklassen vorbei

Von Barbara Briessmann

Bald sind Ferien in Bayern. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, braucht es keinen Blick in den Kalender, eine Fahrt mit der S-Bahn am Vormittag reicht vollkommen aus. Wo sonst gähnende Leere herrscht, ist nur noch Gedränge. Schulklassen, Kindergartengruppen und Touristen.

Da sind alle Regeln der Höflichkeit schnell über Bord geworfen. Die Waggons werden regelrecht geentert, die Sitzplätze ohne Rücksicht auf Verluste erobert. Pech, wer zu langsam ist. Dass es sich gehört, einem älteren Menschen seinen Platz anzubieten - vergessen!

Vielleicht liegt das Problem aber in der Definition von "älterer Mensch". Die Dame, die jüngst in die S-Bahn stieg, möchte bestimmt nicht als ein solcher gesehen werden. Allerdings hatte sie ein Handicap, sie war mit Krücke unterwegs. Also stand sie an Haltestange und Gehhilfe gekrallt im vollbesetzen Zug. Ihre jugendlichen Mitreisenden klebten auf ihren Sitzen, die Frau schien für sie unsichtbar zu sein.

Nicht aber für eine resolute Dame, Typ "älterer Mensch", die drei Stationen später dazu kam. Energisch aber höflich sprach sie eine junge Frau an, ob sie ihren Platz nicht dem Fahrgast mit der Krücke anbieten wolle. Die Antwort war eindeutig: "Ich stehe nicht gern." Das beschämte wohl auch die kichernden Schülerinnen gegenüber. Eine setzte sich auf den Schoß ihrer Freundin, um Platz zu machen. Dafür gab es Gejammer bis zum Marienplatz, die eine sei so schwer und die Fahrt so anstrengend. Ein Trost: Bald sind Ferien in Bayern.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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