Mitten in Penzberg:Ein Halali dem Kuckuck

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Die Natur kann unerbittlich sein - und ein Vogel einen ganzen Stadtteil um den Schlaf bringen

Von Alexandra Vecchiato

Sind Sie tierlieb?" Diese Frage können wir aus tiefstem Herzen mit einem Ja beantworten. Von frühester Jugend durch Heinz Sielmann, Bernhard Grzimek, Konrad Lorenz, Lassi und Black Beauty einschlägig sozialisiert, ist einem Silberfischchen, Koboldmaki und Okapi, ja die gesamte Fauna ans Herz gewachsen. Was haben wir den Kopf geschüttelt, wenn liebe Nachbarn wegen krähender Hähne oder quakender Frösche vor Gericht zogen. Federvieh und Amphibien folgen nur ihrer Natur. Aber der Mensch ist ein Egoist. Da kommt es zu Interessenskonflikten.

Denn in der Natur des Menschen liegt es, dass er Schlaf braucht. Wenigstens ein paar Stunden. Diese Stunden sind seit gefühlt einem halben Jahr gezählt. Ein Kuckuck lockt mit seinen Rufen eine Partnerin. Was er gerne tun dürfte, wenn er damit nicht täglich schlag Mitternacht beginnen würde. "Gu-kuh" geht es im Sekundentakt bis 5, 6 Uhr in der Früh. Da hilft es auch nicht, das Fenster zu schließen. Der Kuckucksruf sei weit zu hören und werde von einer hohen Warte von April bis in den Juli hinein vorgetragen, ist im Internet zu lesen. Hölle! Dazu muss dieses Vieh auch noch schützenswert sein, im Jahr 2008 war der Kuckuck Vogel des Jahres.

Was von tiefschwarzen Augenringen gezeichnete Frauen und Männer nicht daran hindert, die aberwitzigsten Mordpläne zu schmieden. Beinahe wäre es tatsächlich zur Lynchjustiz gekommen, als jemand verkündete, es handle sich um zwei Prachtexemplare des Cuculus canorus. Der Unmut der Kuckuck-Geplagten, allesamt Hund, Igel und Kröte in Liebe zugetan, richtet sich mittlerweile gegen den hiesigen Jäger, der des Öfteren mit seiner Büchse im nahen Wald den Rehen nachstellt. Er solle doch diese quasi lautlosen Tiere in Ruhe lassen und sich stattdessen einen Kuckuck als Trophäe an die Wand nageln.

Weil von offizieller Seite keine Hilfe zu erwarten ist, ließ der permanente Schlafentzug den Plan reifen, alle, aber auch wirklich alle Bäume, die mehr als eineinhalb Meter hoch sind, gnadenlos umzusägen. Verweigere sich ein Nachbar dem Kahlschlag, nehme man das Ganze selbst in die Hand. Hohe Warte ade, hieße es dann. Als ob er es gehört hätte, hat sich der Kuckuck seit drei Tagen Richtung Wald verkrümelt. Aber die Natur ist unerbittlich: Eine Horde Elstern hat die Bäume gekapert. Ein Gekrächze wie Maschinengewehrsalven tyrannisiert Jung und Alt. Aber erst von 4 Uhr früh an. Man muss für alles dankbar sein.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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