Mitten in Geretsried:Rastplatz ohne Schmierheftchen

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Der neue Fahrrad-Rastplatz bei Geretsried ist bereits voller Müll. Überall liegen Broschüren der Stadt herum - vermutlich deshalb, weil junge Leute sie nicht zum konzentrationsfördernden Herumkritzeln bei nächtlichen Debatten nutzen können

Von thekla Krausseneck

Lehrer, Dozenten und Konferenzleiter kennen ihn: den herabgesenkten Blick ihrer Zuhörer, die sich wenig für das Geschehen um sie herum interessieren, dafür aber wesentlich mehr für ihre Kritzeleien. Mit Unaufmerksamkeit hat das Kritzeln allerdings wenig zu tun, wie inzwischen dem ein oder anderen zu Ohren gekommen sein dürfte: Eine Studie der britischen Psychologin Jackie Andrade hat bereits im Jahr 2009 belegt, dass das Kritzeln die Konzentration nicht behindert, sondern sogar fördert - und dass Menschen, die vor sich hin malen, während sie zum Beispiel einem Vortrag lauschen, sich danach an durchschnittlich 29 Prozent mehr Details erinnern können als jene Zuhörer, die nicht irgendwas gepinselt haben. Das gilt allerdings nur für unmotivierte Kritzeleien, die quasi einfach so herausströmen, und nicht für ausgereifte Zeichnungen.

Es kann - und darf - also durchaus sein, dass die Ergebnisse dem Auge wenig schmeicheln, ja vom Betrachter geradezu als Beleidigung empfunden werden - oder als Vandalismus. Man denke zurück an die vollgeschmierten Tische in der Schule, die vermutlich nichts anderes waren als Ausdruck höchster Konzentration. Ihr Urheber hatten nur leider ihre Blöcke zu Hause vergessen und keine anderen Unterlagen gefunden. Weil die Jugend aber heute keine Schmierblätter mehr dabei hat, sondern Smartphones, ist es völlig verständlich, dass sie am neuen Fahrrad-Rastplatz bei Geretsried darauf angewiesen ist, den nackten Tisch zu benutzen, um ihre Konzentration zu steigern, während sie sich in tiefster Nacht anspruchsvollen Diskussionen hingibt.

Dass es nur eine einzige Woche gedauert hat, bis sämtliche Broschüren im Gebüsch lagen und nicht mehr in ihrem Kästchen, lässt sich nur dadurch erklären, dass die jungen Leute auf der Suche nach blankem Papier ausschließlich die bedruckten Heftchen fanden, sich von der Stadt schwer vernachlässigt fühlten und es in ihrer Wut rund um den Rastplatz verteilten. Derselbe Zorn veranlasste sie dazu, den Mülleimer auszureißen und ihn an den Wegweiser zu hängen, von wo ihn Mitarbeiter des Bauhofs am Montag wieder herunterholen mussten. Die Ausstattung des Rastplatzes sollte also dringend erweitert werden - um einen Malblock und ein paar Stifte.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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