Mitten in Bad Tölz:Piano in der Fußgängerzone

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Es sind ungewöhnliche Klänge, die in diesen Tagen in der Marktstraße ertönen

Kolumne von Klaus Schieder

Im Leben kommt es schon mal vor, dass jemand einen Beruf ausübt, für den er so gar kein Talent mitbringt. Ja klar, jetzt denken sicher einige gleich ans Weiße Haus, an Lokaljournalisten oder den deutschen Vertreter für den European Song Contest. Von solchen Fällen abgesehen, erkennen die meisten Leute aber doch beizeiten, wo ihre Begabung liegt - und wo eben nicht. Unsereiner versuchte sich zum Beispiel in frühen Jahren auf der Violine und trug zur Umweltverschmutzung in den Siebzigerjahren bei. Nur zur akustischen, versteht sich. Das kratzte, knarzte und quietschte, was eigentlich eine geschmeidige Etüde von Franz Wohlfahrt sein sollte, wobei die Nachbarn mit dem Zuschlagen der Fenster oftmals einen markanten Kontrapunkt setzten.

Das wurde auch später nicht besser, weshalb wir die Träume von einer Karriere als zweiter Itzhak Perlman irgendwann auf Nimmerwiedersehen im Geigenkasten beerdigten. Seither lauschen wir vom Büro aus mit etwas Neid den Straßenmusikanten in der Tölzer Marktstraße. Solche Konzerte hätten wir uns auch gerne mal getrau ... , pardon, gegeben. Ungewöhnliche Klänge drangen jedoch dieser Tage an unser Ohr. Das war nicht das übliche Landlergedudel jenes hochgewachsenen und ewig grinsenden Akkordeonspielers, die Gotteslob-Kirchenlieder der Flöten-Haucherin in ihrem Patchwork-Outfit, die refrainartig wiederholten fünf Takte der Filmmusik aus der "Pate" von diversen Möchtegerngeigern. Mitten in der Fußgängerzone stand vielmehr - ein Piano.

Ein junger Mann im langen schwarzen Mantel saß gekrümmt davor wie eine skurrile Figur aus einem Roman von E.T.A. Hoffmann. Mit rot gefrorenen Fingern spielte er bravourös und mit versunkener Hingabe, wenngleich nicht die "Kreisleriana" von Robert Schumann. Dazu klimperten fröhlich die Münzen von Passanten in seine beiden Zylinder, die er oben aufs Piano und unten aufs Straßenpflaster gestellt hatte. Ob er das Kleingeld nun aus Beifall für sein Klavierspiel oder doch eher aus Mitleid bekam, ließ sich allerdings schwer sagen.

Während wir das Fenster öffneten und eine Weile zuhörten, stellten wir uns vor, wie der arme Musiker sein sperriges Instrument ins Rathaus geschleppt haben mochte. Schließlich muss dort jeder erst einmal vorspielen, der in Bad Tölz in der Marktstraße auftreten will. Und wie er dann das Piano alle halbe Stunden an einen anderen Platz zerrte, denn dieser Standortwechsel ist ebenfalls Vorschrift für die Straßenmusiker. Aber das haben wir leider nicht mitbekommen. Das Telefon im Büro läutete dissonant dazwischen. Ach ja, dachten wir nur noch, hätten wir bloß etwas Gescheites gelernt. Es musste ja nicht gleich Konzertgeiger in der Fußgängerzone sein.

© SZ vom 17.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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