Mitten in Bad Tölz:Ach ja, der Muttertag!

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Ehrerbietung im Wandel der Zeit

Von Klaus Schieder

Als Kind hatte man stets seine Probleme mit dem Muttertag. Um Blumen zu schenken, hat das Taschengeld nie gereicht, die Zehnpfennig- und Fünfzigpfennigstücke entzogen sich hartnäckig jedem Sparversuch, verschwanden für Kaugummi oder Sammelbildchen. Als Alternative blieb die Wiese hinterm Haus, aber erstens wuchs dort nur Löwenzahn und zweitens auch nur so lange, bis der Schäfer mit seinen Schäfchen kam, die sich blökend ihrer Notdurft entledigten. Statt eines Blumenstraußes gab es für die Mama daher Topflappen, abstrakte Buntstiftbilder, später fantasievoll Getöpfertes und andere Dinge des täglichen Bedarfs, die sie mit unfassbarem Lächeln entgegennahm, ohne je davon Gebrauch machen zu können. Zum Programm gehörte nachmittags noch ein Familienausflug, als Kind war man da schon wieder ganz Kind und quengelte herum.

Die Zeiten haben sich geändert. Der Muttertagsgruß muss nicht mehr gemalt, sondern kann gesimst oder gepostet werden, als Präsente bieten sich unter anderem Müttertouren von Busunternehmen an - was für die Beschenkten den Vorteil hat, dass sie ihre Bagage mal nicht sehen müssen. Auch in Bad Tölz hat man für Sonntag eine Familienauszeit aufgelegt, die nur auf den ersten Blick sparsam erscheint. Im Kurhaus fängt ein Muttertagsbrunch um 10 Uhr an und endet um soundsoviel, aber jedenfalls um Mittag herum. Denn in der neuen Ausgabe der Monatsbroschüre Aktuell in Bad Tölz macht Kurdirektorin Brita Hohenreiter einen Vorschlag für die Stunden danach: "Der Nachmittags-Spaziergang darf über den Frühjahrsmarkt in der Marktstraße gehen." Das ist ungemein großzügig, und dies umso mehr, als der Besuch der Stände den Frauen laut Hohenreiter auch die Gelegenheit gibt, "kräftig einzukaufen". Ehe manche Ehemänner nun ihre Kontoauszüge studieren, sei angemerkt, dass das Sortiment auf dem Frühjahrsmarkt eher nicht dazu führt, auf den Dispo-Kredit zurückgreifen zu müssen.

Abends steht das Muttertagskonzert der Stadtkapelle an, die ein breites Repertoire hat. Das, so heißt es in Aktuell in Bad Tölz, zeuge "von der Begabung der einzelnen Musiker, die - obwohl im täglichen Leben nicht unbedingt mit Musik beschäftigt - sie aber im Blut haben." Die Begabung. Äh nein, die Musik. Wie auch immer: Die Stadtkapelle hört sich gewiss angenehmer an als blökender Nachwuchs. Der Monatsbroschüre zufolge wünscht die Stadt damit "Alles liebe zum Muttertag!". Nun, manchmal haben sich die Zeiten doch nicht so geändert. In solcher Orthografie stand's früher auch auf den Buntstiftbildern.

© SZ vom 06.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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