Filzkunst-Pionierin Katharina Thomas:"Wo ist meine Sehnsucht?"

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Filz, Fasern, Zwischenräume: Seit mehr als drei Jahrzehnten erschafft die Künstlerin Katharina Thomas aufsehenerregende Gewänder und Textil-Objekte. Zugleich webt sie mit Hingabe aber auch an etwas Persönlichem.

Von Stephanie Schwaderer

Katharina Thomas' Leben weist vielfältige Strukturen und Muster auf. Die gebürtige Leipzigerin, die in Icking vier Kinder großgezogen hat, gilt als Pionierin der Filzkunst. Zudem arbeitet sie erfolgreich mit Fasern aller Art. Das Thema, das sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht, ist das Gewebe. Darüber hat sie nun auch ein autobiografisches Künstlerbuch geschrieben: "Gewebe - Tapestry of Life".

SZ: Eine intime Frage: Tragen Sie gerade irgendwelche Kunstfasern am Körper?

Katharina Thomas: Nein, oder doch, vielleicht steckt eine Kunstfaser in diesem T-Shirt. Natürlich achte ich bei meiner Kleidung auf wirklich gute Stoffe, das macht ja auch Spaß, aber ich bin keine Puristin im Sinne von: Nur Natur! Ich bin Designerin und habe schon Filzstoffe entwickelt, die im Dunkeln leuchten. So etwas geht nur mit Kunstfasern, und da gibt es richtig spannende Dinge.

Sie gelten als Pionierin der Filzkunst. Joseph Beuys war allerdings schon vor Ihnen dran.

Mit Beuys habe ich mich während meines Studiums an der Folkwang Universität der Künste in Essen befasst. Auch Beuys war von diesem archaischen Material fasziniert, er verwendete nur Industriefilz. Ende der 70er Jahre habe ich angefangen, mit Filz zu experimentieren. Ab Mitte der 80er Jahre trafen sich gleichgesinnte Künstler und Handwerker aus aller Welt, um sich auszutauschen. Wir waren gleichberechtigte Pioniere und kamen über Jahre hinweg im Sommer in der ungarischen Puszta zusammen - eine wunderbare Erfahrung.

Wann haben Sie entdeckt, dass Filz Ihr Material ist?

Tatsächlich arbeite ich nicht nur mit Filz, sondern mit Fasern und Gewebe aller Art. Das Schlüsselerlebnis, was den Filz betrifft, hatte ich bei einer Ausstellung in Ungarn 1983, bei der ich in einer Jurte übernachtete. Der Raum hatte eine so andere Qualität: dunkel und warm, ich fühlte mich geborgen, fast wie ein Embryo. Diese Nacht hat in mir die Sehnsucht geweckt, nach Zentralasien zu gehen, wo die Nomaden noch immer in Jurten aus Filz und Holz leben. Und das habe ich dann auch oft gemacht. Unter anderem habe ich in Kirgisien Frauen unterrichtet, die von ihrer Tradition her Filzteppiche herstellen.

Was haben Sie ihnen beigebracht?

Das Ziel war es, sie wettbewerbsfähig zu machen, eine Verbindung zu schaffen zwischen ihrem Können und unseren heutigen Qualitätsvorstellungen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion gingen auch viele Traditionen verloren. Es gab zum Beispiel keine Herdenbücher mehr, die Schafe kreuzten sich wahllos. Die Wolle entsprach nicht der Qualität, die sie hätte haben können. Ich versuchte den Frauen Mut zu machen: Steht zu dem, was ihr könnt.

Sie haben sie ermutigt, Ihre Tradition zu erhalten und zugleich, mit ihr zu brechen?

Tradition und Freiheit sind für mich zentrale Themen. Filzherstellung an sich ist eine alte Tradition. Auf Traditionen kann man aufbauen. Aber es ist die Aufgabe jedes Menschen, darüber hinauszugehen. Freiheit in das Lebensgewebe zu knüpfen ist mir ein zentrales Anliegen. Das habe ich Schülerinnen vermittelt, und das war in vielen anderen Arbeiten meine Botschaft, etwa in der Installation "Briefe an meine Tochter". Die Aufforderung lautet: Geh darüber hinaus!

Was ist Ihre Tochter geworden?

Frauenärztin, und sie ist genau am richtigen Platz. Wo es einen hinzieht, muss jeder selbst herausfinden. Erst in diesem "Darüberhinaus" erscheint die eigene Persönlichkeit. Dieser Prozess erfordert allerdings eine stabile Basis.

Wie haben Sie eine solche Basis erlangt? Durch das Erlernen eines Handwerks?

Unter anderem. Von meiner Schneiderlehre, die kein Zuckerschlecken war, zehre ich bis heute. Ein Handwerk zu erlernen gibt Stabilität. Viele junge Leute wären meiner Ansicht nach glücklicher, wenn sie nicht nur ihren Intellekt bilden würden. Begreifen geht über die Hände.

Gewebe zerfällt. Macht es Ihnen nichts aus, dass Ihre Kunst vergänglich ist?

Nein, überhaupt nicht. Das hat wohl mit meinem Gefühl für das Weitergehen zu tun. Ich lebe in der Gegenwart. Wenn ein einziger Mensch meine Botschaft versteht, würde mir das reichen.

Ist Ihr Buch nicht auch ein Versuch, etwas Dauerhaftes zu schaffen?

Es ist natürlich zum einen der Versuch, mein Leben und Tun für mich selbst zu fassen. Zum anderen ist es ein poetisches Geschichtenbuch, in dem es um meine Reisen geht, um Märchen und Lebensweisheit, die Mut machen soll. Ich möchte den Menschen sagen: Steht zu dem, was ihr möchtet, auch wenn es ungewöhnlich ist!

Wo zieht es Sie gerade hin?

Derzeit befinde ich mich in einer Phase des "Dazwischen". Ich nehme mir den Freiraum, um Neues zu entwickeln. Solche Zwischenräume gibt es in jedem Lebensgewebe. Wir sehen sie in unserer Zeit, in der alles immer schneller gehen muss, nur häufig nicht mehr. Wir denken, wir würden etwas verpassen, wenn wir einmal innehalten. Dabei muss man sich immer wieder Zeit nehmen und fragen: Wo ist meine Sehnsucht?

Buchvorstellung von und mit Katharina Thomas, "Freiraum", Bachstraße 1 a, Münsing, Mittwoch, 25. März, 19.30 Uhr, Tel. 08177/8094

© SZ vom 25.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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