Das Natursymbol:Spaziergang im Bergwald Wolfratshausen

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Früher machte er Angst, heute ist der Wald für viele der Erholungsraum schlechthin.

Ingrid Hügenell

Eigentlich sind sie lieber am See als im Wald. Oder in der Stadt Starnberg. Doch mehrmals im Jahr fahren Rosina und Ernst Baumgartner von Berg am Starnberger See nach Wolfratshausen, um dort im Wald spazieren zu gehen - im Bergwald, der der Stadt gehört. "Das ist angenehm zu laufen, und man hat den schönen Blick auf die Berge und auf Wolfratshausen", sagt Ernst Baumgartner. Und hinterher könne man in Wolfratshausen prima einkaufen.

 Rosina und Ernst Baumgartner gehen selten im Wald spazieren. Aber wenn doch, fahren sie extra von Berg am Starnbergr See nach Wolfratshausen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Sogar im Schnee mögen die beiden Rentner den Wald, der tatsächlich etwas Besonderes ist: Der Bergwald ist ein Buchenmischwald und er wird nicht als Wirtschaftswald genutzt, sondern dient in allererster Linie als Erholungsgebiet. Schmale, gepflegte Wege erschließen ihn, an den steilsten Stellen helfen Treppen mit Geländern beim Aufstieg.

Ein Waldlehrpfad erklärt die Pflanzen und Tiere des Waldes und auch, dass der Bergwald die Stadt vor Lawinen und Hangrutschungen bewahrt. Ein Specht ist zu hören, der schon auf Partnersuche ist und deshalb lautstark hämmert, viele kleine Singvögel fliegen umher. Rehe gibt es hier, auch Füchse und sogar Fledermäuse, wenn man sie auch meist nicht sieht.

Außer den Rentnern aus Berg sind an diesem kalten Montag zwischen 15 und 17 Uhr ein Mann mit Hund, ein schlittenfahrendes Mädchen und eine Mutter mit zwei Buben im Bergwald unterwegs. Er ist ein beliebtes Ziel. "Dieser Wald lässt sich nicht rentabel bewirtschaften", sagt Forstamtsrat Robert Nörr, der ihn für die Stadt betreut. "Aber er hat andere Qualitäten. Er ist prädestiniert als Erholungsgebiet. Ist es nicht toll, dass dieses Ehepaar extra aus Berg hierherkommt, und dann noch in der Stadt einkaufen geht?"

Dabei hatten noch vor wenigen hundert Jahren die meisten Menschen Angst davor, in den Wald zu gehen. "Jetzt ist der Wald das Symbol der Natur, der intakten Umwelt", sagt Nörr. Je mehr die Umwelt zerstört werde, umso mehr sehnten sich die Menschen nach der Stille und Ruhe im Wald. Ein großer, bemerkenswerter Bedeutungswandel sei das, sagt Nörr: "Es war früher die Kulturleistung schlechthin, den Wald zu roden."

Ohne menschlichen Einfluss wäre der überwiegende Teil des Waldes auch in Bayern Buchenwald - außer im Gebirge, wo ursprünglich die Tanne vorherrschte. "Deutschland war bis zum Eintreffen der Römer fast vollständig von Wald und zu zwei Dritteln mit Buchenwald bedeckt." So steht es in "Waldforschung aktuell - Nachrichten aus dem Zentrum Wald-Forst-Holz" (Weihenstephan 2011). Heute seien 31 Prozent der Landesfläche bewaldet, davon sind nur 15 Prozent Buchenwälder, heißt es in der Publikation weiter. Erst der Mensch hat aus den riesigen Buchenwäldern freie Flächen für Siedlungen, Ackerbau und Viehzucht sowie große Nadelwälder außerhalb der Gebirgsregionen gemacht.

Lange wurde vor allem die Fichte angebaut. Und warum? "Weil ich aus einer Buche keinen Dachstuhl machen kann", sagt Nörr lakonisch. Die Fichte wächst relativ rasch und verlässlich, lässt sich gut verarbeiten, und man kann ihr Holz eben auch für Zimmererarbeiten verwenden. Buchenholz dagegen sei vor allem im Freien nicht witterungsbeständig genug, erklärt der Förster.

Inzwischen aber hat man erkannt, dass reine Fichtenwälder aus verschiedenen Gründen langfristig Probleme machen: Sie sind unter anderem anfällig für Windwurf und Schädlingsbefall. "Jede Baumart hat ihre Schädlinge", sagt Nörr. Das ist aber ein geringeres Problem, wenn viele unterschiedliche Arten in einem Wald stehen. In einer Fichtenmonokultur kommt es leicht zur Massenvermehrung des Borkenkäfers, das kann im Mischwald nicht passieren. Und auch, weil man nicht weiß, wie genau sich der Klimawandel auswirkt, setzen die Förster auf den anpassungsfähigen Mischwald.

Der Wolfratshauser Bergwald ist so ein Mischwald. Mindestens 15 Baumarten wachsen da, neben der Buche etwa Berg- und Spitzahorn, Eibe, Ulme, Eiche, Erle und Esche. Und fast alle haben sich selbst angesiedelt, was Nörr freut. Er entdeckt sogar junge Walnussbäumchen. Auf einem Quadratmeter wachsen hier 80 bis 100 junge Bäumchen, "Millionen im ganzen Wald". Zehn Hektar des Bergwalds gehören der Stadt. Für die Verjüngung muss Nörr kaum etwas tun.

Dennoch ist im Bergwald Pflege nötig. Denn er steigt steil hinter der Stadt empor. Bäume, die umzustürzen drohen, muss der Förster rechtzeitig herausnehmen. "Die haben Sie sonst im Wohnzimmer", sagt er. Oder auf den Wegen. Auch Ernst Baumgartner, der Spaziergänger aus Berg, fragt: "Hier rutscht doch hoffentlich kein Baum runter?", und das ist höchstens halb scherzhaft gemeint.

Die Sicherheit der Häuser unterhalb des Waldes und die der Erholungssuchenden darin sind der Hauptgrund, warum "gefährliche Bäume", wie Nörr sie nennt, geschlagen werden. Wo es möglich ist, lässt der Förster jedoch Stämme oder Äste liegen. Das sieht zwar unaufgeräumt aus. Aber das tote Holz bietet wichtige Lebensräume.

Doch Nörr wäre kein Förster, würde er nicht auch ohne Gefahr regelnd eingreifen und Bäume fällen. Um Licht und Raum zu schaffen, beispielsweise. Ganz oben im Bergwald steht eine mittelgroße Buche neben einem dünnen Stämmchen. "Das kann ein schöner, großer Bergahorn werden", sagt Nörr über das Stämmchen. "Aus dem kann man in 100 Jahren wunderbare Wirtshaustische und -bänke machen." Oder, wenn es ein Riegelahorn wird, Möbel oder Musikinstrumente. Deshalb, und weil sie selbst von schlechter Qualität ist, muss die Buche weg. Denn sie würde den Ahorn daran hindern, groß und stark zu werden.

© SZ vom 02.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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