Campen in Münsing:Herrlich entspannend

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Auf dem Campingplatz bei Sankt Heinrich am Starnberger See treffen sich Urlauber aus ganz Europa. Viele kommen immer wieder - wie der Geretsrieder Rudi Kreitmeier seit 55 Jahren

Von Max Wochinger

Mit dem Gehwagen tritt er in seinen Vorgarten, stellt ihn vor dem Stuhl ab, lässt sich hineinfallen. Erst mal Durchschnaufen und Zurücklehnen. Rudi Kreitmaier lässt den Blick schweifen. Nur eine halbe Wohnanhänger-Länge entfernt wäscht sich eine Meise in einem alten Kochtopf. Bemalte Eier stehen auf dem Tisch. Der Rentner ist zufrieden, er macht Urlaub hier - seit 55 Jahren. Seine Terrasse wirkt mit der Geweihlampe und den alten Stühlen wie aus den 1960er Jahren - als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Es heißt ja, in Bayern würden die Uhren anders gehen. Damit waren freilich einmal politische Uhren gemeint. Am Campingplatz "Beim Fischer" in Sankt Heinrich in der Gemeinde Münsing scheinen sie jedenfalls langsamer zu gehen.

Das könnte man annehmen, wenn man durch den Campingplatz am unteren Ostufer des Starnberger Sees schlendert. Vögel zwitschern dort leise Lieder, der Wind pfeift angenehm durch die Bäume. Herrlich entspannend also. Die Vorzelte - eigentlich Garant für Unordentlichkeit - sehen bei den Dauercampern strukturierter aus als so manch Wohnzimmer in einem Möbelkatalog. Von den Vorgärten erst gar nicht zu sprechen. Probleme drehen sich hier um undichte Schlauchboote oder schlecht geparkte Wohnwagen. Nicht aber um Verkehrsstaus auf dem Weg zur Arbeit oder komplizierte Stromkostenabrechnungen.

Gut gelaunt und gelassen: Familie Niermann vom Niederrhein ist für zwei Wochen in St. Heinrich. Stefan, Sabine und Max freuen sich über ihren Wohnwagen, den sie billig ersteigern konnten. (Foto: Arlet Ulfers)

Camping beim Fischer klingt erst mal rustikal. So ist es auch. Die Rezeption befindet sich in der Küche der Fischerfamilie, samt brotzeitmachendem Großvater. Der erzählt davon, wie Mitte der 1950er Jahre die ersten Münchner mit ihren Zelten nach St. Heinrich kamen. Seine Schwiegereltern führten schon vor dem Zweiten Weltkrieg ein Strandbad. Später folgten Gäste mit alten, ausgedienten Bau- und Kastenwagen, die sie dort für längere Zeit abstellten. Schließlich erschienen die ersten Urlauber mit "Schwalbennestern": kleinen, eiförmigen Wohnanhängern für schwach motorisierte Fahrzeuge. Seitdem hat sich vieles verändert. "Die Größe der Fahrzeuge ist rasant gestiegen. Heute kommen Wagen mit mehr als zehn Metern Länge an", sagt Rudolf Müller. Der 84-jährige arbeitet noch kräftig in dem Familienbetrieb mit, wenn auch nicht mehr so "schnell wie früher". Viermal in der Woche fährt er zum Fischen auf den See. Das soll aber künftig seine Enkelin Lisi Huber übernehmen. Die Renken, die sie zurzeit fangen, werden von ihnen geräuchert und auf dem Campingplatz angeboten.

Das schätzt Familie Niermann aus Kreis Wesel am Niederrhein. Stefan und Sabine Niermann und Sohn Max sind das erste Mal am Starnberger See und freuen sich über die zentrale Lage des Sees für Ausflüge nach München, Garmisch-Partenkirchen oder ins Allgäu. Eher durch Zufall sind die Rheinländer an ihren Wohnanhänger gekommen, doch inzwischen sind sie zu leidenschaftlichen Campern geworden. "Der Weg ist das Ziel", sagt Stefan Niermann begeistert. "Denn auf dem Weg in den Urlaub einfach irgendwo stehen bleiben zu können ist klasse". Über diese Freiheit freut sich auch Sohn Max, der lieber mit dem Schlauchboot in See sticht als vor dem Fernseher zu sitzen. Den See hat Dariusz Wallusch immer fest im Blick. Der 42-jährige Surflehrer pachtet das Wassersportcenter am Strandbad schon seit vier Jahren. Auf die Frage, was bei ihm am meisten ausgeliehen wird, ist die Antwort ganz klar: Stand-up-Paddle-Boards. "Insgesamt besitzen wir 40 Bretter - an guten Tagen sind alle ausgeliehen. Die stehtiefe Bucht in St. Heinrich ist besonders für Anfänger geeignet, um sich hier mal auszuprobieren", sagt Wallusch.

Surflehrer Dariusz Wallusch. (Foto: Georgine Treybal)

Viele der Badegäste kommen aus München, die Campinggäste aber aus ganz Europa - mit den unterschiedlichsten Absichten. Da ist zum Beispiel das Paar aus den Niederlanden, das ihren Enkel aus München für eine Woche beaufsichtigt. Oder zwei Abenteurer, die ihr Expeditionsfahrzeug vor der Reise in die Wüste Tunesiens testen wollen. Rudi Kreitmaier hat auf diesem Campingplatz schon alles gesehen. Der 88-jährige gebürtige Münchner ist der älteste Dauercamper auf dem Platz. Seine ebenfalls betagten Nachbarn nennen ihn den Platzhirschen, und er wirkt tatsächlich ein wenig wie ein in die Jahre gekommener Gerhard Polt.

Seit 1962 macht er in St. Heinrich Urlaub. Immer mit seiner Frau, die "alles mitgemacht" habe, so Kreitmaier. Sie starb vergangenes Jahr, er aber bleibt trotzdem. "Was soll ich denn wo anders? Hier lässt es sich doch gut aushalten", sagt der Rentner grinsend.

Gerne sinniert er über die vergangene Zeit: Als sie jedes Jahr zum Todestag von König Ludwig II. an dessen vermutete Todesstelle segelten und einen Schnaps tranken - den ersten stets für den "Kini". Oder als man mit Freunden bis spät in die Nacht am Lagerfeuer zusammensaß und musizierte. Das Schönste für den gelernten Automechaniker war und ist jedoch die Gemeinschaft. Als Jung und Alt, Hiesig und Fremd zusammen ihren Urlaub verbrachten. "Heute ist das nicht mehr so. Jetzt verschwinden alle in ihre Wohnwagen", sagt Kreitmaier bedauernd. Drei Monate verbringt er jedes Jahr in St. Heinrich. Dann geht es wieder zurück. Nicht mehr nach München, sondern nach Geretsried, wo er mittlerweile wohnt.

Dauercamper, Surflehrer, Freiheitssuchende, Campingplatz-Betreiber: Sie alle erzählen Geschichten von diesem Ort. Eins aber zieht sich wie ein roter Faden durch alle hindurch: der See. Er ist das Zentrum, alles andere Peripherie. Friedlich und ruhig liegt er da, als hätte Gabriele Münter ihn auf eine Leinwand gemalt und diese vor einen gestellt.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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