Bad Tölz-Wolfratshausen:Zentren abseits der Mitte

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In vielen Kommunen im Landkreis ballen sich Fachmärkte und Discounter an der Peripherie, während in den Ortskernen die Lichter ausgehen. Vom Handel ist diese Strategie gewollt, und die Politik schaut oft nur zu

Wuchtig stehen die Konsumbauten im Landkreis vielerorts in der Peripherie. Supermärkte und Discounter, Baumärkte und Drogerien ballen sich zusammen, um gemeinsam dem Kunden seine Wünsche zu erfüllen. Im Wolfratshauser Gewerbegebiet etwa vergrößert sich der Baywa-Baumarkt gerade um fast das Doppelte. Gleich daneben gibt es ein Gartencenter. "Fachmarktagglomeration" nennen sich solche Gebilde aus mehreren großen und eigenständigen Geschäften; "Fachmarktzentren" heißen sie, wenn dahinter ein einzelner Betreiber steht. Seit Jahren gibt es gerade in ländlichen Regionen von beiden immer mehr, denn sie sind sowohl bei Kunden als auch bei Investoren beliebt. Bei den Kunden, weil sie dort schnell mit dem Auto alle Einkäufe auf einmal erledigen können. Parkplätze gibt es meist kostenlos, denn genügend Platz ist im Gegensatz zu dicht den bebauten Innenstädten vorhanden. Die Investoren schätzen die Fachmarktzentren, weil ihnen die Nähe zu anderen Läden eine große Zahl an Kunden verspricht. Auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen darbt manch alteingesessenes Geschäft, während gleichzeitig große Unternehmen neue Filialen eröffnen. Ein Überblick.

Wolfratshausen

Die Stadt Wolfratshausen hat vor zwölf Jahren ihren Volksfestplatz an der Königsdorfer Straße geopfert, um dort eine Kombination aus Rewe und Aldi anzusiedeln und so selbst wieder etwas Geld in die Kasse zu bekommen. Heute ist der große Parkplatz zwischen den Märkten oft voll, etwas nördlich und südlich locken andere Supermärkte und Discounter, weiter westlich im Gewerbegebiet vergrößert der Baywa-Baumarkt seine Verkaufsfläche gerade bei laufendem Betrieb. Im Hintergrund treibt unterdessen die Kraft-Stiftung die Planung eines neuen Einkaufszentrums am beim Bahnhof voran, das im Kern ebenfalls aus einem großen Supermarkt und einem Discounter bestehen soll. Das Beratungsbüro Cima hat der Stadt ein solches Einkaufszentrum auch zur Stärkung der nahen Innenstadt dringend ans Herz gelegt, doch bisher zögern die Stadträte wegen befürchteter Verkehrsprobleme. Der vor einigen Monaten beschlossene Gleistunnel im Zuge der S 7-Verlängerung hat die Chancen steigen lassen, das bestellte und bisher nur im Geheimen besprochene Verkehrsgutachten wartet auf seine öffentliche Behandlung im Stadtrat.

Auf der grünen Wiese gibt es immer genügend Parkplätze - und sei es für die Einkaufswägen. (Foto: Johannes Simon)

Bad Tölz

Mehr als 50 Jahre schon gibt es die Baywa in Bad Tölz, im vergangenen Jahr aber hat sie ihre Filiale an der Eichmühlstraße enorm ausgebaut: Neben dem ursprünglichen Gelände entstand mit mehr als 14 000 Quadratmetern ein "Kompetenzzentrum" für Baustoffe, außerdem ein weiterer Standort für Agrartechnik mit mehr als 2000 Quadratmetern. Etwa fünf Millionen Euro hat der Konzern im Zuge dessen investiert. Bei der Baywa heißt, dass für die Vergrößerung des Standortes und das Festhalten an der Eichmühlstraße, die "sehr gute Infrastruktur" spreche. Die Filiale liegt direkt neben dem Bahnhof- und ist deshalb nicht nur für Autofahrer bequem zu erreichen, sondern auch für all die Pendler, die jeden Tag am Bahnhof abfahren und ankommen.

Bichl

Bichl hat zwar noch keinen Supermarkt, aber das soll sich bald ändern. Auf einer Wiese nördlich des Ortskerns soll ein Nettomarkt entstehen. Der Gemeinderat hat kürzlich beschlossen, einen entsprechenden Bebauungsplan aufzustellen. Gegen den Supermarkt auf der grünen Wiese hatte sich eine Bürgerinitiative gewehrt, im Mai 2014 kam es zum Bürgerentscheid. Er ging äußerst knapp für das Projekt aus: 50,99 Prozent stimmten für den Discounter. Die Bürgerinitiative hatte damit argumentiert, dass es im Nachbarort Benediktbeuern einen Edeka-Markt gibt, der inzwischen sogar vergrößert wurde. Für viele Bichler liegt er näher als der Standort des Discounters. Wie Bürgermeister Benedikt Pössenbacher versichert, soll es bei dem einen Lebensmittelmarkt auf der Wiese bleiben. Weitere Ansiedlungen habe der Gemeinderat ausgeschlossen.

Icking

Icking hat derzeit zwar einige kleine Einzelhändler und Läden, doch seit dem Wegzug des "Netto" keinen Supermarkt mehr. Inzwischen laufen die Planungen für einen Vollsortimenter auf der sogenannten Maibaumwiese. Jedoch keinen gewöhnlichen: Der neue Supermarkt soll das größte Gebäude entlang der B 11 und damit im Ickinger Ortskern werden. Er soll auf drei Ebenen rund 1000 Quadratmeter Verkaufsfläche bieten, vor allem aber wird er Icking optisch verändern. Der künftige Supermarkt wird sich nämlich als ländliches Anwesen tarnen: Als großer Bauernhof mit Tenne und Haupthaus im alpenländischen Stil mit Querstreben und Holzverschalung. Die untere Ebene, quasi der Stall, soll nach den bisherigen Planungen als Parkhaus dienen, in das Kunden und der Lieferverkehr von der B11 aus einfahren können. Die mittlere Ebene, mit Aufzügen erreichbar, werde als Lagerfläche und für Personalräume genutzt. Die Tennen-Ebene wird schließlich den Markt beherbergen mit zweitem Zugang von der S-Bahn-Seite aus, samt Aussicht und einem Café mit Balkon, von dem aus der Blick über das Isartal und die Alpenkette schweifen kann. "Wir haben uns für diese Gestaltung entschieden, weil wir kein typisches Supermarktgebäude haben wollten", erklärte Bürgermeisterin Margit Menrad (UBI). Drei der zuletzt noch vier Interessenten hätten Vollversorger-Konzepte vorgeschlagen, die Menrad und den Räten jedoch zu urban waren und damit nicht in den ländlichen Charakter Ickings gepasst hätten. "Entweder so oder gar nicht", vor dieser Wahl habe die Gemeinde gestanden, erklärte die Bürgermeisterin. Das Grundstück hat die Gemeinde inzwischen in Erbbaurecht vergeben, mit einer Laufzeit von 33 Jahren und einer Verlängerungsoption von zwei Mal zehn Jahren. Festgelegt ist zudem, dass die Nutzung auf den Lebensmitteleinzelhandel beschränkt ist. Die Planungen sind im Gange, derzeit wartet die Gemeinde auf den Bauantrag. Der Bau selbst könnte dann in sechs bis neun Monaten fertiggestellt sein.

Geretsried

Früher einmal standen an der Sudetenstraße marode Häuserblocks, seit zwei Jahren erstrahlen dort weiß getünchte Gebäude: Nicht nur neue Wohnungen sind in dem Neubaukomplex entstanden, sondern auch Einkaufsmöglichkeiten. Unter anderem ein Drogeriemarkt, ein Penny-Supermarkt und ein Bio-Supermarkt. In diesem Jahr eröffneten in einem zweiten Bauabschnitt ein Getränkemarkt, ein weiterer Biomarkt sowie eine Filiale einer Modekette. Die Baugenossenschaft argumentierte bei Bekanntgabe des Projekts, dass nun viele der Senioren in der näheren Umgebung zu Fuß einkaufen gehen könnten - früher sei dafür ein Auto nötig gewesen.

Das BayWa-Zentrum in Bad Tölz bleibt dagegen sehr sachlich. (Foto: Johannes Simon)

Schäftlarn

In der Gemeinde Schäftlarn gibt es zwar einen kleinen Tengelmann, doch der befindet sich im Ortsteil Ebenhausen und ist meist überlaufen. Im Ortsteil Hohenschäftlarn macht sich deshalb seit Jahren Unmut über eine fehlende Einkaufsgelegenheit breit. Bürger und Gemeinde blieben nicht untätig: Ein Dorfladen war geplant, dann ein Discounter, zuletzt beides. Realisiert wurde dann aber weder der eine noch der andere. Aktuell wird nun die Erweiterung des Tengelmanns in Ebenhausen um einen Getränkemarkt geplant. Ebenhausen verfügt neben der Tengelmann-Filiale noch über einen Metzger und einen Drogeriemarkt sowie über zwei Bio-Märkte, während es in Hohenschäftlarn nur einen Naturkostladen gibt.

Viele Projekte im Landkreis belegen eine bekannte Strategie des Handels: Wenn sich Unternehmen für einen Standort entscheiden, achten sie genau auf die sogenannte "Conversion Rate" - diese setzt die Zahl der Passanten ins Verhältnis zur Zahl der tatsächlichen Konsumenten. Denn je mehr Leute an einem Geschäft vorbeikommen - und sei es auch nur deshalb, weil sie eigentlich ein benachbartes Geschäft ansteuern - desto höher ist die Chance, dass manche von ihnen auch tatsächlich etwas kaufen. "Was die Kommunen oft vergessen: Wenn sie ihre grüne Wiese für solche Zentren freigeben, geht das zu Lasten des bisherigen Einzelhandels in der Ortsmitte", sagt Bernd Ohlmann, Geschäftsführer des Handelsverbandes Bayern. Oft kämen Bürgermeister zu ihm und klagten über ihre ausgestorbene Innenstadt. Jahre vorher aber hätten sie unbedingt einen Discounter im Ort unterbringen wollen. "Da kann ich dann nur milde lächeln und sagen, das sind die Sünden der Vergangenheit", sagt Ohlmann.

© SZ vom 26.10.2015 / ratz, kpf, ihr, cjk, jsw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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