Fahrtkosten:Ausgehöhlte Kostenfreiheit

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Wenn Kinder nicht in die Schule gehen, die für sie fahrtechnisch am nächsten liegt, müssen die Eltern den Bus selber zahlen. Das halten viele für ungerecht. Landtagsabgeordneter Bachhuber hat sich der Sache angenommen

Von Wolfgang Schäl, Bad Tölz-Wolfratshausen

"Es ist ein zähes Thema, es ist eine Schieflage in ganz Bayern, und es ist einfach nur ungerecht." Anne Becker aus Beuerberg ist nicht die einzige, die sich täglich über die Regelungen ärgert, nach denen der Freistaat Schulwegkosten erstattet. Oder eben nicht. Ihre beiden Kinder gehen in Penzberg aufs Gymnasium, obwohl für sie fahrstreckentechnisch Geretsried vorgesehen wäre. Bezogen auf die reine Entfernung sei da kein Unterschied, aber nach Geretsried fährt der MVV, der kostengünstiger ist, nach Penzberg der RVO. Ihre Kinder aber wollten nach Penzberg, "sie haben sich halt so entschieden", sagt Becker, und diese Entscheidung kostet eine Menge Geld. Denn für die Fahrt zahlt der Staat keinen Cent.

"Es ist ja nicht so, dass ich alles bezahlt bekommen will", sagt Becker. Aber die Kosten für die Fahrt nach Geretsried, die der Staat ansonsten erstatten müsste, die hätte sie schon gern. "Stattdessen fällt man komplett raus." Fälle wie dieser führten dazu, dass Kinder oft aberwitzige Umwege in Kauf nehmen müssen, oder aber die Eltern täglich zur Kasse gebeten werden. Ein Beispiel sei die Gemeinde Dietramszell, wo die Kinder eine Dreiviertelstunde länger als nötig unterwegs seien. "Den Politiker möchte ich mal sehen, der sich das jeden Tag antun möchte," sagt Becker. Zu den Absurditäten zählt sie auch, dass Wochenkarten teurer seien als Einzeltickets.

Eine Petition zu den Schulwegekosten sei gar nicht angenommen worden mit der Begründung, es habe davon schon viele gegeben und alle seien bisher abgelehnt worden. Beckers Aussage kann die Dietramszeller Bürgermeisterin Leni Gröbmair nur unterstreichen. "Hier geht es nur ums Geld, der Staat drückt sich einfach", sagt sie. Dietramszell als Flächengemeinde sei besonders betroffen, weil für Kinder aus einigen Ortsteilen die Fahrt nach Holzkirchen wesentlich kürzer wäre. Die von Becker angedeuteten Umwege von einer Dreiviertelstunde pro Fahrt bewertet sie als "durchaus realistisch". Dies alles sei nicht nachvollziehbar. "Der Ärger begleitet uns seit Jahren."

Den Sachverhalt erläutert der für die Schülerbeförderung zuständige Sachbearbeiter im Landratsamt, Johann Fischhaber. Der Kreis strecke die Kosten vor und bekomme das Geld nach einem hoch komplizierten System vom Staat zurückerstattet, allerdings nur zur etwa 60 Prozent. Den Rest müsse der Kreis zuschießen, was in den vergangenen Jahren jeweils um die 700 000 Euro ausgemacht habe. Gewährt werde der Zuschuss nicht nach der Entfernung zwischen Wohnort und Schule und auch nicht nach dem Zeit-, sondern dem "Beförderungsaufwand", also allein nach den Fahrtkosten.

CSU-Stimmkreisabgeordneter Martin Bachhuber möchte "einen bürokratischen Hemmschuh" beseitigen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Im CSU-Kreisverband ist das Thema mittlerweile angelangt, oder besser gesagt, es ist wieder auf der Tagesordnung, denn Streit darum hatte es schon im Januar 2011 im Kreistag gegeben. Der Bad Heilbrunner Stimmkreisabgeordnete und Kreisvorsitzende Martin Bachhuber will sich nun mit einem Antrag an den CSU-Parteitag Mitte Dezember in Nürnberg wenden und sich darin für mehr Gerechtigkeit bei der Erstattung der Schulwegkosten einsetzen. Auch Bachhuber verweist auf die vielen Gemeinden im Landkreis, in denen Eltern unter den geltenden Vorschriften leiden und somit "in ihrem Recht auf freie Schulwahl eingeschränkt werden". In einem vom Kreisvorstand einstimmig verabschiedeten Antrag an den Parteitag "sollen nun die Weichen für eine entsprechende Lockerung gestellt werden", verspricht Bachhuber. Man wolle damit dem Wunsch vieler Eltern entgegenkommen und "einen bürokratischen Hemmschuh beseitigen".

In dem CSU-Antrag gehe es auch um Schulen mit besonderen pädagogischen Konzepten. "Wenn es sich hierbei nicht um die nächstgelegene Schulen handelt, sind die Eltern gefordert", sagt Bachhuber. Das aber sei eine Ungleichbehandlung, "weil die freie Schulwahl somit nicht zuletzt vom Geldbeutel der Eltern abhängt." Diesbezüglich habe er es "mit Brandherden das ganze Loisachtal rauf und runter zu tun". Nun wolle man ein Umdenken bewirken, ohne gleich alle bestehenden Regelungen über Bord zu werfen. Auch eine "Kostenbremse" habe man in den Antrag eingebaut- im Falle einer Gesetzesänderung dürfe sich daraus "kein Anspruch auf die Einrichtung neuer Verkehrsverbindungen ableiten".

Im Kultusministerium vermag man diese Argumente nicht nachzuvollziehen. Pressesprecher Henning Gießen verweist auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, der die aktuellen Regelungen als zumutbar bewertet habe. Unabhängig davon sei es widersinnig, wenn die Gemeinden ein öffentliches Nahverkehrsnetz aufbauten und es dann nicht für die Schüler nutzten. Dass das Geld eine Rolle spielt, mag Gießen nicht von der Hand weisen - der Freistaat investiere jedes Jahr eine halbe Milliarde Euro, um einen kostenfreien Weg zur Schule zu gewährleisten.

Mit Hinweis auf die Rechtslage hatte Landrat Josef Niedermaier schon 2011 die mangelnde Bereitschaft der Kreisverwaltung begründet, auf dem Kulanzwege den Eltern Geld zurückzuerstatten - für diesen Fall befürchtet Niedermaier Beanstandungen durch den Rechnungshof.

© SZ vom 13.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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