Flüchtlinge:Stolz und Vorurteil

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Pädagogen und Sozialarbeiter würdigen die große ehrenamtliche Unterstützung von Asylbewerbern im Landkreis. Sie berichten aber auch von gängigen Klischees wie dem, Flüchtlinge brächten Ebola ins Land

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

In der Schulklasse sitzt ein Flüchtlingskind aus Nigeria. Von seinen deutschen Mitschülern ist dann schon mal zu hören, dass Asylsuchende allesamt aus Afrika kämen und Ebola hätten. Noch schlimmer: Die Flüchtlinge besäßen sogar Smartphones, die von Deutschen bezahlt werden müssten. Das bekommen die Kinder nicht unbedingt am Abendbrottisch von den Eltern erzählt. Claudia Eff, Jugendsozialarbeiterin an der Hammerschmiedschule in Wolfratshausen, weiß auch von dem einen oder anderen Lehrer, der im Unterricht mitteile, dass Flüchtlinge hierzulande Kleidung erhielten, die aus Steuermitteln finanziert werde. Wie Sozialpädagogen, Streetworker und Schulsozialarbeiter aus dem Landkreis die einheimischen Kindern und Jugendlichen für die Probleme der Asylbewerber sensibilisieren können, war das Thema einer Fachtagung an der Staatlichen Berufsschule in Bad Tölz. Etwa 60 Teilnehmer waren dazu gekommen. "Das spiegelt die Brisanz des Themas wider, da kommt keiner raus", sagte Kreisjugendpflegerin Verena Peck.

424 Asylsuchende leben augenblicklich in 14 von 21 Gemeinden des Landkreises. 31 Prozent von ihnen kommen aus Afghanistan, 14 Prozent aus Syrien und zehn Prozent aus dem Irak, hinzu kommen etliche afrikanische Herkunftsländer, Russland oder auch Serbien. Um sie kümmert sich neben hauptamtlichen Betreuern im Landratsamt und ehrenamtlichen Helfern der Münchner Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch", mit dem der Landkreis einen Vertrag geschlossen hat. Seit März bietet er hier Sozialberatung für Asylbewerber an, sein Büro hat er in Geretsried. Drei Mitarbeiterinnen betreuen von dort aus die Flüchtlinge im Landkreis, eine von ihnen ist Anika Dollinger.

Kreisjugendpflegerin Verena Peck sprach von der Brisanz des Themas. (Foto: Manfred Neubauer)

Sie erläuterte den Jugendarbeitern das langwierige Asylverfahren und die rechtlichen Bedingungen, unter denen die Bewerber in Deutschland leben. Probleme gibt es im Alltag zuhauf. Sieben Quadratmeter Raum stehen jedem Flüchtling zu, aber "in Bad Tölz braucht man einen Meterstab, um auf die sieben Quadratmeter zu kommen - das finde ich schade", sagte Bettina Vögele, die für den Verein im südlichen Landkreis arbeitet.

Dem Engagement der ehrenamtlichen Kräfte zollten die beiden Frauen großes Lob. Ohne sie gäbe es "keinen sozialen Frieden im Landkreis", sagte Vögele. Als Beispiele wurden das Bürgercafé in Wolfratshausen oder das Computerzentrum von Waldraut Haase im Tölzer Jugendcafé erwähnt, wo Asylbewerber und Migranten mit für sie zugeschneiderten Internet-Programmen Deutsch lernen können. Denn einen Anspruch auf Deutschkurse hätten die Asylsuchenden nicht, sagte Dollinger. Dieser Unterricht wird von vielen Ehrenamtlichen übernommen. "Doch das ist schwierig, weil die Levels unterschiedlich sind", sagt Dollinger.

Im Einsatz der Freiwilligen sehen die zwei Mitarbeiterinnen auch eine Schwierigkeit. Werde deren Hilfe nicht koordiniert, "geht das Ganze nach hinten los", sagte Vögele. Es sei wichtig, dass "keine Parallelarbeit" stattfinde oder manche Dienste dreifach, andere gar nicht erledigt würden. Dem pflichtete der Tölzer Sozialplaner Armin Ebersberger bei. Man müsse eine Integrationsplanung erstellen, befand er.

Kritik wurde am Schulamt geäußert, das nicht einmal eine grobe Schätzzahl liefere, wie viele Flüchtlingskinder in den Schulen des Landkreises zu erwarten seien. Einige Teilnehmer bemängelten, dass die ausländischen Schüler gleich im normalen Unterricht sitzen müssen und Deutsch in einem Zusatzkurs lernen. Eine Lehrerin berichtete von einem Jungen, der auf alle, auch auf Englisch gestellten Fragen freundlich stets mit "Ja" reagiere, von dem sie aber nicht wisse, wie viel er wirklich verstanden habe. Besser wäre es ihrer Ansicht nach, den Flüchtlingskindern erst einmal zwei, drei Monate lang intensiv Deutsch beizubringen.

Für Claudia Eff ist es auch wichtig, einheimischen Jugendlichen zu zeigen, "dass Afrika nicht heißt, in einem Gral-Tal zu leben", sondern dass von dort oft hochgebildete Menschen kämen. Man müsse ihnen erklären, "warum diese Leute alles aufgeben mussten". Eine Art Methodenkoffer wollen die Studentinnen Eva Späth und Franziska Leipold von der Katholischen Stiftungsfachhochschule Benediktbeuern im Zuge ihres "Praxis-III-Projekts" den Sozialpädagogen an die Hand geben. "Es ist wichtig, dass man Betroffenheit schafft", sagte Leipold. Dies könne durch Erfahrungsberichte von Flüchtlingen oder Ehrenamtlichen an Schulen geschehen, durch Ausstellungen oder Planspiele, in denen sich deutsche Kinder in die Rolle von Asylbewerbern versetzen.

Um die Kooperation zwischen offener Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und den Schulen zu stärken, soll Anfang 2015 eine Fachtagung stattfinden.

© SZ vom 20.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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