Attraktive Museumsbauten:Der Bilbao-Effekt

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Wie die baskische Stadt haben auch Kochel am See und Penzberg eine Aufwertung erfahren

Von Kaija Voss, Kochel am See/Penzberg

Im Ort Kochel am See sieht man vor allem die Wegweiser in Richtung Franz-Marc-Museum, das Gebäude selbst noch nicht. Zum Museum muss man den steilen Hügel empor und durch den Franz-Marc-Park laufen. Sofort trifft man auf Kunst: Moderne Skulpturen markieren den Weg. Bald sieht man den Kubus des Museumsneubaus von 2008. Ein großes Fenster öffnet sich im ersten Stock zur nahe gelegenen Bergwelt. Sonst werden die Wände nur durch wenige Fensteröffnungen durchbrochen, die Hängung der Bilder des expressionistischen Malers Franz Marc erfordert Platz. Mit flachem Dach und deutlich niedriger als sein Vorgängerbau, eine ehemalige Fabrikantenvilla im Heimatstil, tritt das Haus respektvoll dahinter zurück. Im historischen Gebäude des 1986 gegründeten Franz-Marc-Museums befinden sich heute das Restaurant und Café "Blauer Reiter" sowie die Museumsverwaltung. Von 2008 an brachte der Erweiterungsbau der Schweizer Architekten Diethelm & Spillmann bessere Bedingungen für die museale Konzeption. Auf 700 Quadratmetern Fläche kann das Werk Marcs umfassend präsentiert und durch neue Aspekte, etwa die Gegenüberstellung mit Werken seiner Zeitgenossen, erweitert werden. Das ist nicht nur aufgrund des neuen Flächenangebots möglich, sondern vor allem, weil die Sammlung der Stiftung Etta und Otto Stangl hinzugewonnen wurde.

Man betritt das Museum zwischen Villa und Neubau durch eine moderne Kolonnade aus Betonpfeilern. Hier trifft Tradition auf Moderne, und beides geht miteinander eine wunderbare Symbiose ein. Der Weg in und durch das Museum führt durch moderne sachlich-nüchterne Architektur, ganz nach den Ideen des "White Cube" - des "weißen Würfels", die von den 1920er-Jahren an im Museumsbau aufkommen. Das Haus selbst soll nicht von den Exponaten ablenken, sondern den Besucher zur Konzentration auf diese befähigen. Unterbrochen werden sowohl Konzeption des Museums als auch Konzentration des Besuchers durch die hervorragend platzierten riesigen Fenster mit direktem Blick zu Herzogstand und Heimgarten, auf den Kochelsee und das Umland. Auch das ist museale Inszenierung: Das von Franz Marc so bezeichnete "Blaue Land" kommt mit in die Ausstellung und mischt sich zwischen seine Bilder, wie von selbst und zu jeder Jahreszeit. In überzeugender Weise verbindet das Kochler Museum historisches Erscheinungsbild mit neuer Bauqualität. Eine Chance für den Denkmalschutz. Und für hochwertige Architektur im zeitgemäßen Erscheinungsbild.

Museumsbauten sind zu zentralen Themen in der Architektur geworden. Sie prägen das Image von Orten und sind Wirtschaftsfaktor, nicht erst seit dem Bau des Guggenheim-Museums in Bilbao im Jahre 1997 durch Frank O. Gehry. Seither gibt es die Bezeichnung "Bilbao-Effekt", er benennt die gezielte Aufwertung von Orten durch spektakuläre Bauten namhafter Architekten.

Acht Jahre nach Kochel am See erhält ein weiterer Künstler der Künstlergemeinschaft "Der Blaue Reiter" ein Museum: Heinrich Campendonk. Fährt man in Penzberg, Landkreis Weilheim-Schongau, durch die Karlstraße, sieht man den neuen Zwillingsbau des Museums mit der weltweit größten Campendonk-Sammlung. Ein Geniestreich der modernen Architektur von Thomas Grubert: Die klare Form beider Gebäude ist identisch, die Materialien und die Raumkonzeption sind unterschiedlich. Der imposante Neubau ist fensterlos und hat eine schwarze Klinkerfassade, sie schimmert je nach Lichteinfall eher silbern, dunkelgrau oder glänzend schwarz. Ein leichter transparenter Glaskörper verbindet das alte Museum perfekt mit dem Neubau. Dieser spielt auch im Inneren mit dem Licht, vom gläsernen Entree bis zur Lichtdecke. In das Treppenhaus wurde ein von Campendonk gestaltetes farbiges Glasfenster integriert, ins Foyer die von Dorothea Reese-Heim geschaffene Skulptur "Licht-Trichter".

Im alten Museumsteil, einem denkmalgeschützten Werkshaus für Bergarbeiterfamilien, sind bis heute die stadtgeschichtlichen Inhalte zu sehen. Mit Putzfassade und historischer Fensteranordnung zeigt der Bau das typische Ortsbild der einstigen Bergarbeiterstadt. In Penzberg entstand von 1872 bis 1890 eine Arbeiterkolonie mit insgesamt 51 derartigen Häusern. Heinrich Campendonk kam mit 21 Jahren aus dem Rheinland nach Bayern, auf Einladung von Franz Marc und Wassily Kandinsky. Der Künstler stammte aus Krefeld, einer Stadt am Niederrhein, die damals für die Seidenproduktion bekannt war. Das Ruhrgebiet mit seinen Schächten und Fördertürmen liegt ganz in der Nähe: Vielleicht war Heinrich Campendonk deshalb so sehr vom kleinen bayerischen Penzberg mit seinen Koloniehäusern, Fördertürmen und Schornsteinen berührt. Vielleicht fand er hier, im Gegensatz zum sonst so ländlichen Oberbayern, viel Heimatliches - seine Bilder zeigen das besondere industrielle Umfeld immer wieder.

Museumsarchitektur, die das Penzberg der Bergarbeiter spiegelt, ist der perfekte Rahmen für die Werke des Künstlers und die Stadtgeschichte.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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