Wohnungsmarkt :Stadt muss radikal umdenken beim Grundstücks-Handel

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SZ-Leser fordern grundlegende Reform des Bodennutzungsrechts - und halten der Stadt auch vor, beizeiten Spekulanten bedient zu haben

Derzeit das drängendste Problem in der Landeshauptstadt: Explodierende Preise auf dem Wohnungsmarkt. (Foto: Natalie Neomi Isser)

" Tausende Wohnungen in Gefahr" vom 18. Juni:

Mehr Erbpacht ermöglichen

Grund und Boden ist im Gegensatz zu menschengemachten Produkten, Dienstleistungen und sonstigen schöpferischen Werken ein von der Natur geschaffenes, nicht vermehrbares Gut, auf dessen Nutzung jeder Bürger allein aufgrund der Notwendigkeit, über eine menschenwürdige Wohnung zu verfügen, angewiesen ist. Der Wert von Grund und Boden hängt unter anderem von dessen Erschließung und verkehrlichen Lage ab, das heißt, zu einem wesentlichen Teil von den von der Allgemeinheit (Steuerzahler) erbrachten Leistungen. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass Eigentum an Grund und Boden größtenteils ähnlich behandelt wird wie Eigentum an vermehrbaren, durch menschliche Leistung entstandenen Wirtschaftsgütern.

Eigentum an Grund und Boden ist historisch meistens irgendwann durch Landraub entstanden. Das geraubte Land wurde vom jeweiligen Herrscher von ihm ausgewählten Begünstigten zunächst meist zur Pacht oder Nutzung überlassen und ging dann durch Schenkung oder Zahlung eines Einmalbetrags in dessen Eigentum über.

In der Geschichte gab es immer wieder Landreformen, in denen das wenigen Großgrundeigentümern gehörende Land an bis dahin in Leibeigenschaft lebende Bürger verteilt wurde. Die Unterwerfung von Grund und Boden unter Gesetze des Kapitalismus und des Marktes hat wegen der Knappheit im wesentlichen ohne Leistung der Eigentümer zu Grundstückspreisen geführt, die den Grundeigentümern völlig unangemessene Gewinne bescheren und ein Hauptgrund für die für den Durchschnittsverdiener in Ballungsgebieten nicht mehr bezahlbaren Wohnungspreise und -mieten sind.

Insbesondere der Staat sollte der Sozialverpflichtung seines Eigentums nachkommen und seine Grundstücke nicht zu möglichst hohen Preisen an Spekulanten verkaufen, sondern im Erbbaurecht Nutzungsrechte vergeben, die ihm zu sozialverträglichen Einnahmen verhelfen und die Hoheit über die zukünftige Nutzung des Grundes und Bodens bei den demokratisch legitimierten Institutionen belassen. Die Höhe der Erbpacht kann sich an den Einnahmen orientieren, die der Inhaber der Erbpacht aus der Nutzung des gepachteten Grundstücks beispielsweise durch Bebauung mit Gewerbe- oder Wohnimmobilien erzielt.

Der maßgebliche Grund für die Entstehung von Baugenossenschaften war immer, den Genossenschaftsmitgliedern Wohnen zu angemessenen Preisen zu ermöglichen. Dieser Grund hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt, denn in München finden breite Schichten von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, auf deren Dienste die Gesellschaft zwingend angewiesen ist, kaum mehr bezahlbaren Wohnraum. Eine Verlängerung der Erbpacht für genossenschaftlich betriebene Wohnanlagen, die trotz des hohen Alters von zum Teil weit über 100 Jahren in sehr gutem Zustand sind, zu angemessenen Bedingungen ist eine zeitgemäße Lösung für ein dringendes Problem. Dr. Heiko Barske, Seefeld

Eigentum verpflichtet

Ich dachte immer, dass der Staat dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Außerdem habe ich mal gehört, dass Eigentum verpflichtet. Wenn nun der Staat als Eigentümer Geldinteressen über soziale Belange stellt, dann befürchte ich, dass damit der Politikverdrossenheit nur noch Vorschub geleistet wird. Stattdessen sollte der Staat seine Einnahmen deutlich erhöhen, indem er das Geld dort holt, wo es vorhanden ist: bei den Großverdienern, Grundstücksspekulanten, Konzernen, die ihre Steuern minimieren.

Und: Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt, sondern können vom Gesetzgeber geändert werden. Wieso wird nicht die soziale Verpflichtung in die Gesetze als Präambel geschrieben? Und was soll die Angst vor Klagen von Grundstücksspekulanten, die nicht ans Ziel gekommen sind? Sollen sie doch klagen, der Staat sollte genügend Juristen haben, die sich darum kümmern können.

Und wenn der Staat so doof ist, dass er sich seine Hoheit über das Recht nehmen lässt, indem er Schiedsstellen erlaubt, dann ist ihm nicht mehr zu helfen. Erich Würth, München

Stadt als schlechtes Vorbild

Selbstverständlich ist die Beobachtung richtig, dass die Boden- und Mietpreise in München exorbitant steigen und dass die Stadt versuchen muss gegenzusteuern. Was mir fehlt, ist der Hinweis auf die Stadtpolitik, wie sie unter den Oberbürgermeistern Ude und Reiter bisher betrieben wurde. So höre ich Herrn Reiter jetzt "haltet den Dieb" rufen und sehe ihn auf die "bösen Spekulanten" schimpfen - in einer Reihe mit seinem Vorgänger. Mir ist dabei durchaus klar, dass die Stadt sich mit Versuchen wie Sobon (Sozialgerechte Bodennutzung) zwar bemüht, ich kann aber nicht verstehen, warum die Stadt ihre eigenen Grundstücke - etwa im Prinz-Eugen-Park, der gerade gebaut wird - meistbietend verkauft. Man könnte hier ja an Einheimischenmodelle wie in manchen Umlandgemeinden denken. Oder die Stadt könnte, vielleicht noch wirksamer, ihren Grund im Erbbaurecht vermieten, statt ihn an genau die "bösen Spekulanten" zu verkaufen, die den höchsten Preis zahlen (auch wenn der "Spekulant" - wie so oft - eine Genossenschaft oder ein Eigennutzer ist). Die Kirche macht das schon lange so. Damit würde man den Grund der Spekulation entziehen, und die Stadt hätte einen langfristigen Einfluss auf den Preis.

Nebenbei könnte man über die Höhe der Erbpacht auch bestimmte Bevölkerungsgruppen - auch als Mieter - bevorzugen, etwa eher wenig verdienende Berufsgruppen, die in der Stadt dringend gebraucht werden. Das verlangt man aber anscheinend lieber von Dritten als von sich selbst. Solange die Stadt selbst lieber kurzfristig die eigene Kasse mit einem Grundstücksverkauf zu Höchstpreisen füllt, statt Grund langfristig vom (Käufer-)Markt zu nehmen, sollte sich die Stadtspitze mit Schuldzuweisungen an Dritte zurück halten. Während ich bei OB Reiter aus politischen Gründen eine einseitige Darstellung zumindest verstehen kann - er will ja schließlich wieder gewählt werden -, fehlt mir dieses Verständnis gegenüber der Berichterstattung in der SZ. Auf diese Weise machen Sie sich zum billigen Sprachrohr einer Partei. Sie sollten aber das Sprachrohr der mündigen Bürger sein. Dr. Michael Schramm, München

" Stadt verzichtet auf Enteignungen" vom 6. Juni:

Bedauerlicher Rückzieher

Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich diesen Artikel gelesen habe. Deshalb: Das Mittel einer städtebaulichen Entwicklungsmaßname (SEM) ist ein äußerst taugliches Mittel bei der Stadtentwicklung und wird in München schon seit Jahren erfolgreich angewandt. Dass jetzt dieses Mittel für den Münchner Norden zurückgenommen werden soll, ist äußerst bedauerlich. Ich will nur auf einen Punkt eingehen, der sich auf eines der Hauptprobleme Münchens bezieht: Den Wohnungsbau. Mit einer SEM werden die Bodenpreise eingefroren. Das bedeutet, dass die 500 Grundbesitzer, die meist zufälligerweise zu ihrem Grund kamen, keine Spekulationsgewinne machen können - und das ist gut so. Wenn das jetzt nicht mehr gilt, werden die Grundstücke teurer und teurer, einige machen dann ihren Reibach - und München? München bekommt weitere unbezahlbare Wohnungen, sei es im Mietbereich oder im Eigentumssektor. Wenn ich mir die öffentlich immer wieder erklärten Versuche - hauptsächlich der SPD im Rathaus - vor Augen führe, preiswerten Wohnraum zu schaffen und zu erhalten, kann ich die Entscheidung, die SEM Nord nicht mehr als SEM weiter zu planen, überhaupt nicht nachvollziehen. Der Stadtrat sollte auf die Grünen hören und diese Entscheidung noch einmal gründlich überprüfen. Uwe Großmann, München

© SZ vom 21.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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