Wohnen in der Münchner Altstadt:Kleine alte Welt

Wohnen in der Münchner Altstadt: Da ist auch nachts noch was los: Ein Wohnhaus in der Altstadt nahe der Schrannenhalle.

Da ist auch nachts noch was los: Ein Wohnhaus in der Altstadt nahe der Schrannenhalle.

(Foto: Stephan Rumpf)

In der Altstadt wohnen nicht viele Menschen - ein bunt gemischter Haufen, der seine Heimat liebt. Wären da nicht die vielen lauten Baustellen und natürlich die hohen Mieten, die manch einen bereits vertrieben haben. Ein Besuch.

Von Thomas Anlauf

Trockenblumen, ausgerechnet. Vor 20 Jahren hatte Elke Fett mit Trockenblumen nun wirklich nichts am Hut. Aber sie wollte unbedingt Marktfrau auf dem Viktualienmarkt werden, egal wie. Und als man ihr vor 20 Jahren anbot, einen Trockenblumen-Stand auf Probe zu betreiben, griff sie zu. Seit sechs Jahren ist Elke Fett nun Sprecherin der Händler am Viktualienmarkt. Und sie ist mit ihrem Standl aufgeblüht.

Jeden Morgen gegen neun Uhr, nachdem sie ihren Stand geöffnet hat, geht Elke Fett die paar Schritte hinüber zum Café Frischhut, das hier jeder nur "Schmalznudel" nennt, und trinkt ihren Kaffee schwarz. "Mein zweites Wohnzimmer" nennt sie das kleine Lokal. Dabei liegt ihr eigentliches Wohnzimmer nur fünf Stockwerke höher in der Prälat-Zistl-Straße. "Wie im Adlerhorst" fühlt sie sich da oben, von dort überblickt sie ihre kleine Welt. Höchstens bis zum Kaufhaus Konen reicht das Reich von Elke Fett, und vielleicht noch rüber bis zum Tal. Weiter nicht.

"Ich hab' doch alles hier", sagt die 69-Jährige. Lebensmittel kauft sie natürlich nur am Viktualienmarkt, wenn sie Lust auf etwas hat, das es dort nicht gibt, geht sie einfach in eine der umliegenden Gaststätten, in den Blauen Bock zum Beispiel. "Da gehen alle Leute von hier hin", sagt die Marktfrau. Na ja, wohl nicht alle: Da ist zum Beispiel der Mann von nebenan. Seit der Wende sei der da, lebt in einer winzigen städtischen Wohnung von Sozialhilfe, erzählt Fett. Zweimal am Tag gehe er hinüber in den Biergarten am Viktualienmarkt, und weg aus München wolle er nicht mehr. "Das ist der schönste Platz der Welt, sagt er immer."

Wohnen in der Münchner Altstadt: Elke Fett, Sprecherin der Marktfrauen am Viktualienmarkt, trinkt ihren Kaffee gerne in der "Schmalznudel".

Elke Fett, Sprecherin der Marktfrauen am Viktualienmarkt, trinkt ihren Kaffee gerne in der "Schmalznudel".

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dieser schöne Fleck inmitten der Altstadt ist im Wandel. "Seit zehn Jahren geht das schon so", sagt Elke Fett und nippt an ihrem Kaffee. "Der Wandel ist richtig spürbar." Die Häuser im Angerviertel werden von den Erben aufgeteilt und teuer saniert, viele Alte müssen aufs Land ziehen, wo die Wohnungen noch nicht so viel kosten. Der Markt, das ist das Zentrum. "Drumherum dreht sich das Rad." Der große Wandel. Elke Fett hebt das Kinn, und ihre Stimme klingt trotzig. Ja, ihre kleine Welt wird überleben. "Ob der Sozialhilfeempfänger oder der Bäcker, ganz egal: Wir sind uns unheimlich wichtig."

Auf der Suche nach Neuem

In dieser kleinen Welt leben auch Jörg und Jürgen. Jörg Spoede sitzt ein paar Schritte neben Elke Fetts Duftstand beim Nymphenburger Sektzelt und bestellt Espresso zum Mineralwasser. Der 55-Jährige mit dem blau-weiß geringelten T-Shirt ist groß gewachsen, ein echter Nordfriese. Seit 20 Jahren lebt er mit seinem Partner in München. Als er 2004 mit seinem Freund an die Reichenbachstraße gegenüber der heutigen Schrannenhalle zog, war für ihn der Viktualienmarkt noch eine fremde Welt. Doch dann entdeckte Jürgen Elke Fett in ihrem Stand. "Die beiden waren jahrelang eng befreundet", sagt Spoede. "In Braunschweig." Dort hatte Fett lange Zeit gelebt, wie so viele in der Altstadt ist sie eigentlich nicht aus München. Das Wiedersehen am Markt, ein seltsamer Zufall.

Wohnen in der Münchner Altstadt: Jörg Spoede fühlt sich am Viktualienmarkt wie zu Hause.

Jörg Spoede fühlt sich am Viktualienmarkt wie zu Hause.

(Foto: Robert Haas)

Ebenso wie die Wohnung, die Jörg und Jürgen vor zehn Jahren gefunden haben. Ein junges Paar musste damals aus der 100 Quadratmeter großen Wohnung ausziehen. "Weil sie sich nicht dauernd die Frage stellen wollten, ob sie sich am Abend noch ein Bier leisten können", sagt Jörg Spoede. Die Mietpreise vertreiben die Menschen. Aber Spoede, der Touristik-Journalist, hört das dauernde Lamento der Gentrifizierung trotzdem nicht gern. "Wir leben hier doch im Epizentrum der Stadt. Da muss auch Veränderung stattfinden."

Auf der Suche nach Ruhe

Marienplatz, das wahre Epizentrum Münchens. Sebastian Rummel öffnet das Wohnzimmerfenster, davor hat er ein kleines blaugraues Gerät mit Mikrofon befestigt. 65 Dezibel zeigt der Lärmmesser, es ist Viertel nach zwölf, das Glockenspiel vom Rathaus nebenan ist bereits verstummt. Am Morgen hat der Apparat 92,4 Dezibel angezeigt. So laut ist es an einer Straße, in der Schwerlaster vorbeifahren. Rummel und seine Freundin wohnen aber mitten in der Fußgängerzone. "Wir wollen nicht die Spießbürger schlechthin sein", sagt der 39-Jährige. Doch er und seine Freundin leben mit acht Baustellen rund um die Wohnung. "Wir haben mitten in der Nacht 112 Dezibel gemessen", erzählt er. Beim benachbarten Donisl und im S-Bahn-Untergeschoss am Marienplatz wird gehämmert, angeblich rund um die Uhr.

Angefangen hat der Baustellenwahnsinn vor drei Jahren, ein halbes Jahr, nachdem das junge Münchner Paar in die städtische Wohnung gezogen ist. Rummel blättert am Küchentisch eine dicke Mappe auf: Lärmschutzbestimmungen sind darin, Antwortschreiben von der Stadt, weil Rummel wissen will, ob er auch mal seine Ruhe haben kann, ein Entschuldigungsbrief von der Kaufhof-Geschäftsführung für den Baustellenlärm. Eine Karte aus dem Jahr 2007 zeigt, dass das Paar eigentlich im grünen Bereich wohnt: 30 bis 35 Dezibel soll es hier leise sein. Unten rauscht das Stimmengewirr der Passanten, am Abend legen die Straßenmusiker los, in Endlosschleife. Ein Leben im Epizentrum. Sebastian Rummel und seine Freundin wollen einfach ein bis zwei Stunden Ruhe am Tag.

Auf der Suche nach Grün

"Allein diesen Baum rauschen zu hören, ist doch eine Wohltat." Peter Beer steht in seinem großen grünen Garten an der Karmeliterstraße, einen Steinwurf von der Fußgängerzone entfernt. Hier, im Kreuzviertel, lebt der Generalvikar der Erzdiözese, mit einigen anderen hochrangigen katholischen Geistlichen in einer Art Garten Eden. Viele Menschen wohnen nicht in dieser Ecke der Altstadt, hier sind die Schaltzentralen von Kirche, Wirtschaft und Politik in Bayern. Herrschaftliche Häuser, Palais sind hier zu finden, Kathedralen der Kirche und des Kapitals.

Peter Beer geht mit schnellen Schritten, steht kurz oben auf der grünen Dachterrasse des Erzbischöflichen Ordinariats und blickt auf die Dächer der Altstadt, kurz darauf steht er schon im Garten der Jesuiten hinter der Michaelskirche und breitet die Arme aus. Dieses Grün, das fehlt ihm ansonsten in den Straßen der Altstadt. Der 48-Jährige ist auf dem Land aufgewachsen, bei Regensburg. Er kennt München aus vielen Perspektiven, seit er 1987 her gezogen ist: Beer wohnte in Berg am Laim, Perlach, Schwabing, im Lehel und in Sendling, wo er Kaplan in St. Margaret war. Das Grün in der Stadt bedeutet für ihn Lebensqualität, und die will der Generalvikar in die Altstadt bringen. An der Maxburgstraße entsteht gerade das neue Ordinariat. Im Erdgeschoss will Peter Beer Glasfassaden haben, die den Blick auf den grünen Innenhof der Jesuiten freigeben. "Die Kirche hat auch ihren Auftrag, sich in der Stadtgesellschaft einzubringen", sagt er. "Solche kleinen Oasen sind wichtig für die Stadt."

Auf der Suche nach Kindern

Zühre Sevengül

Wohnt seit 25 Jahren an der Burgstraße: Zühre Sevengül.

(Foto: Florian Peljak)

So eine Oase hätte Zühre Sevengül damals gebraucht, als ihre zwei Kinder noch klein waren. "Ich konnte ihnen ja nicht sagen: Geht mal zum Spielen auf den Marienplatz." Die gebürtige Fürstenfeldbruckerin, die seit 25 Jahren mit ihrer Familie an der Burgstraße nahe dem Marienplatz lebt, ging damals mit den Kleinen eben an die Isar oder auf einen Spielplatz außerhalb der Altstadt. Dorthin, wo auch andere Kinder wohnten.

Im Zentrum gab es ja kaum welche, das ist bis heute so. "Die alte Schulleiterin hat uns Eltern immer angehalten, andere Kinder bei uns als Zweitwohnsitz anzumelden." Die Herrnschule hätte sonst zusperren müssen, aus Kindermangel.

Auf der Suche nach Leben

Zusperren wird das Atomic in der Neuturmstraße. Und Ingo Sawilla bedauert das. Nicht, dass der 32-Jährige, der gegenüber der Disco lebt, dort Stammgast wäre. Aber er findet, dass "alles, was ein bisserl Leben ins Viertel bringt, abgetötet wird". Der junge Mann mit schwarzem Käppi, Nasenring und Rauschebart beklagt, dass das Graggenauer Viertel nicht gerade ein "Wohlfühlviertel" ist.

Wohnen in der Münchner Altstadt: Ingo Sawilla ist Pressesprecher des Residenztheaters und wohnt gegenüber des Atomics. Die Disco soll bald schließen.

Ingo Sawilla ist Pressesprecher des Residenztheaters und wohnt gegenüber des Atomics. Die Disco soll bald schließen.

(Foto: Catherina Hess)

"Abends steht man ganz oft vor dem Problem, wo man überhaupt hingehen kann", sagt Sawilla, der ein paar Schritte von seiner Wohnung entfernt im Residenztheater arbeitet. Die paar Lokale, die es hier gibt, sind für den Theaterwissenschaftler und seinen Freund nichts. Die beiden suchen lieber "in anderen Vierteln das Leben": in Haidhausen, am Gärtnerplatz, jeden Samstag am Viktualienmarkt. Dort, wo Elke Fett ihre Trockenblumen verkauft. So klein ist die Welt, mitten in der Altstadt.

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