Wohin mit den Flüchtlingen? Landräte berichten:Druck, Druck, Druck

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Thomas Karmasins Wort gilt etwas in Staatskanzlei und CSU. (Foto: Johannes Simon)

Thomas Karmasin, seit 19 Jahren Landrat in Fürstenfeldbruck, galt bisher als ruhiger Krisenmanager. Doch jetzt verschärft er den Ton in der Asyldebatte - aus politischem Kalkül, echter Sorge und persönlichem Frust

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Eigentlich ist Thomas Karmasin ein krisenerfahrener Mensch. Im Juni 1999 zum Beispiel, da managte er die Folgen des Jahrhunderthochwasser an der Amper mit einer Lässigkeit und Leichtigkeit, dass man sich sicher war: Den haut nichts um, aus dem wird mal was ganz Besonderes. Damals war der gebürtige Münchner erst drei Jahre als Landrat von Fürstenfeldbruck im Amt - mit 33 Jahren einer der jüngsten Bayerns, Jurist, CSU-Mitglied. Eine perfekte Konstellation für eine Karriere, mindestens als Staatssekretär. Doch Karmasin blieb im Landratsamt Fürstenfeldbruck, Kommunalwahl um Kommunalwahl. Und auch wenn das mit der überregionalen Karriere nichts wurde: Er hat sich einen Ruf als einer der versiertesten Kommunalpolitiker und Verwaltungschefs im Münchner Umland erarbeitet. Karmasins Wort gilt etwas: in den Gemeinden, unter den Landräten, in der CSU.

Eben auch, weil er immer einen ruhiger, umsichtiger Krisenmanager war. Bis zum Beginn dieser Sommerferien: In dieser Woche vollzog der 52-Jährige eine drastische Kehrtwende. Er beschwor ein bedrohliches Flüchtlingskrisenszenario herauf, sprach vom Ende der "Willkommenkultur", von Flüchtlingen, die er bald nicht mehr menschenwürdig unterbringen werde, sondern notfalls in beschlagnahmte öffentliche Tiefgaragen. Thomas Karmasin - vom umsichtigen Krisenmanager zum lautstarken Hardliner? Was ist da passiert?

Vielleicht ist es einfach der Druck. Der Druck auf ihn als Behördenchef, der nach einer Lösung für den Umgang mit Flüchtlingen sucht, aber keine findet. Der Druck auf sein plötzlich von der Aufgabe überfordertes Amt, das auf seine Anweisung hin nun auf große, schnelle Lösungen wie Massenunterkünfte in Hallen, Kulturhäusern und eben Tiefgaragen umschwenkt. Karmasin ist ein brillanter Rhetoriker, dessen mal flapsige, mal humorvolle Spitzen gefürchtet sind. Man kann sich bei ihm nicht immer sicher sein, wie ernst ihm seine Ankündigungen sind. Aber den Ernst solcher Aussagen versteht jeder - und das weiß der Politiker Karmasin. Damals zum Beispiel, als er zu Beginn der Flüchtlingskrise schon lautstark kritisierte, dass minderjährige Asylbewerber wie einheimische Jugendliche besondere Betreuung bräuchten. Oder im vergangenen Winter, als er Kosovo-Flüchtlinge als "Wintertouristen" bezeichnete, die man rasch heimschicken müsse.

Das sind Sätze, die zum eher lässig und humorvoll auftretenden Landrat so gar nicht passen. Besser passte da schon, dass seit zwei Jahren die zentralen Begriffe von Karmasins Flüchtlingspolitik eine "Willkommenskultur" und eine "menschenwürdige Unterbringung" waren. Das war der Grundkonsens aller politischen Gruppierungen im Kreistag, was Karmasin Anerkennung einbrachte - und vielleicht auch das Privileg, als einziger Landrat im Flüchtlingskrisenstab der Staatsregierung zu sitzen und dort seine Erfahrungen einzubringen. Rechtspopulisten hatten in seinem Landkreis bisher einen schweren Stand.

Nun aber ist für ihn offenbar eine Grenze erreicht. Karmasin ist frustriert und enttäuscht, das sagt er offen. Ihn frustriert, immer wieder von vorne anfangen zu müssen. Sind die letzten Asylbewerber untergebracht, stehen die nächsten vor der Tür. Den Druck gibt er weiter an die Bürger: Deren Bauanträge und andere Anliegen blieben eben jetzt länger unbearbeitet liegen, kündigte er an - sein Personal müsse sich ja um die Asylbewerber kümmern. Und denen könne sein Ausländeramt halt auch nicht mehr ihr Taschen- und Essensgeld rechtzeitig auszahlen. Karmasin wäre nicht Karmasin, wenn er solche Aussagen nicht mit einem - fragwürdigen - Vergleich verbinden würde: Italienische Behörden würden ja auch einfach irgendwann alles liegen lassen, wenn ihnen etwas zu viel werde. Ein bisschen spricht Karmasin auch hier aus Erfahrung: Als Jurastudent war er Reiseleiter, zudem hat er eine Ferienwohnung in der Nähe von Rom.

Vielleicht ist Karmasins Schwenk ja auch ein Ergebnis seiner Arbeit in Seehofer Flüchtlingskrisenstab. Als Parteisoldat vertritt er nun die schärfere Linie von Ministerpräsident Horst Seehofer - und befeuert sie mit Details. Asylbewerber aus dem Westbalkan gab es schon immer im Landkreis. Aber plötzlich liegt den Unterlagen für die Kreistagssitzung Ende Juli eine Aufstellung über Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten im Landkreis vor: mit geschätzten Gesamtkosten von 1,1 Millionen Euro für 120 Personen in diesem Jahr. Zufall ist das keiner. Allerdings zeigt Karmasin auch auf, wie wirkungslos Seehofers Vorhaben ist, in zwei Abschiebelagern Flüchtlinge aus dem Westbalkan unterzubringen. Die geplante Einrichtung in Manching mit einer Kapazität von 500 Plätzen reiche gerade mal für den Zugang an Albanern, Kosovaren, Mazedoniern, Bosniern und Serben an einem einzigen Tag, rechnet er vor. Hier ist er wieder der unabhängige Landrat, der frei seine Meinung sagt, notfalls auch dem Ministerpräsidenten. So tat er das auch vor einigen Jahren, als Seehofer das Projekt zweite S-Bahn-Stammstrecke aufgeben wollte. Karmasin fuhr kurzerhand in die Staatskanzlei und drohte mit einem Aufstand der Umland-Landräte. Seehofer besann sich eines Besseren.

Auch früher schon gab Karmasin anderen die Richtung vor. Als im Sommer 2014 der Flüchtlingszustrom in der Münchner Bayernkaserne nicht zu bewältigen war, spielte er den Nothelfer. Er trumpfte mit einem geschickten Krisenmanagement zur Entlastung auf. Stunden genügten ihm, um in einer leer stehenden Schule ein Notauffanglager einzurichten. Mehr als hundert Flüchtlinge konnten so von München nach Fürstenfeldbruck verlegt werden. Dieses Modell machte Schule. Parallel dazu entstanden im Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck auf Karmasins Betreiben hin zwei Erstaufnahmeeinrichtungen der Regierung von Oberbayern - wieder zur Entlastung der Bayernkaserne. Geht doch, konnte man damals feststellen, auch wenn der Landrat über sein Netzwerk erst Druck auf die nicht erfreute Luftwaffe und Verantwortliche bei der Kirche ausüben musste. Es gelang ihm frühzeitig, die Bürgermeister auf eine Quote zur gerechten Verteilung der Flüchtlinge einzuschwören. Eine Quote, die mit Massenunterkünften nicht zu vereinbaren ist. Als das Landratsamt im Frühjahr eine Prognose vorlegte, nach der bis Jahresende Quartiere für bis zu 3000 Asylbewerber zu schaffen sind, war das für den Landrat noch kein Problem.

Zum Problem erklärte er es erst in dieser Woche. Landräte seien nicht weinerlich - aber er habe es inzwischen satt, sich für die Fehler anderer, nämlich für die des Bundes, beschimpfen lassen. Gerne rechnet Karmasin dann vor, dass eine Verzögerung des Sondergipfels Asyl in Berlin um nur einen Monat Kosten von 330 Millionen Euro nach sich ziehe. In dem verlorenen Monat beantragten weitere 80 000 Menschen Asyl, von denen nach einem Jahr etwa 55 000 wieder ausgewiesen werden - für deren Unterbringung müsse man aber eben bis dahin zahlen. Bei einer solchen Rechnung ist Karmasin dann ganz Bundespolitiker. Nach 19 Jahren in Fürstenfeldbruck ab nach Berlin oder zumindest in den Landtag? Gerüchte über einen solchen Wechsel bestreitet er hartnäckig. Er wolle einfach bleiben, was er ist: nur Landrat.

© SZ vom 07.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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