Wild und sexy: Die letzte Szene:Schick, schick, Schickeria

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Was aus der Schickeria geworden ist: Eine Betrachtung über die Bussi-Gesellschaft im Wandel der Zeit.

Franz Kotteder

Am 31. Januar hat ein Schöffengericht drei junge Münchner Hooligans zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt, weil sie sich beim Überfall auf einen Fanbus des 1. FC Nürnberg der mehrfachen gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht hatten. Die FC-Bayern-Anhänger gehörten zum Fanclub "Schickeria München", der in der Szene weithin als gewaltbereit bekannt ist.

Modezar Rudolph Moshammer (Foto: Foto: Franz Hug, Interfoto)

"Schickeria München": ein schöner Name, den man früher einmal nicht mit prügelnden Fußball-Rowdies, sondern mit alt- und neureichen Schampus-Schlürfern in Verbindung brachte. Man darf also einerseits getrost sagen, die Münchner Schickeria sei ein bisschen auf den Hund gekommen.

Andererseits wirft das die Frage auf, was ebendiese Schickeria eigentlich ausmacht, seit jenen Tagen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als dieser Begriff erstmals auftauchte.

Damals gab es noch den legendären Münchner Playboy James Graser, der die vier Grundbestandteile der Schickeria schon früh kongenial verkörperte: wilde Partys, flotte Autos, schneller Sex und saubere Räusche. Von James Graser sind viele seltsame Anekdoten überliefert.

Dass er zum Beispiel stets im Bademantel an den Swimming Pool des Hotels Bayerischer Hof kam mit der obligatorischen Frage: "San Hasen da?" Im Falle einer positiven Antwort zog er dann den Bauch ein und stolzierte in sein Revier. Geht die Kunde. Manchmal soll er auch direkter zu Werke gegangen sein und die versammelten Blondinen, denn darum handelte es sich bei besagten "Hasen", salopp mit den Worten begrüßt haben: "Kinder, das Rohr ist da!"

Diese beiden Geschichten helfen einem schon einmal wesentlich weiter in Definitionsfragen: Schickeria (Münchner Art) wäre demnach eine gewisse Weltläufigkeit unter unbedingter Beibehaltung des Provinziellen und Handfesten. Ein weiteres schönes Beispiel, aber aus jüngerer Zeit, stellt etwa der Münchner Schickeria-Gastronom Michael Beck dar.

Der führte als "Bratwurst-Michi" so bodenständige Lokale wie das "Nürnberger Bratwurst-Glöckl" und das "Augustiner am Dom" (handfest!) erst souverän in die Insolvenz und setzte sich dann auf der Flucht vor seinen Gläubigern ins ferne Manila (weltläufig!) ab.

Überhaupt spielt die Gastronomie in dem ganzen Getriebe naturgemäß eine wichtige Rolle. Der Schriftsteller Gregor von Rezzori, der stets den Urheberrechtsanspruch auf den Begriff "Schickeria" erhob, verwies als Begriffserklärung neben dem bekannten Wort "schick" auch auf den jiddischen Begriff "schickern" für "sich besaufen".

Erst die Verbindung beider Begriffe bezeichne präzise die gemeinte Sache. Darüber hinaus lebe die Schickeria aber auch vom Wichtig-und-schön-sein-wollen, denn Geld allein genügt noch nicht: "Sie will, sie darf nicht unter sich bleiben, sondern muss die Gesellschaft anderer suchen", schrieb Rezzori 1984 für das Magazin Geo Special, "nämlich die von noch Höheren, Reicheren, Mächtigeren. Der Schickeria wohnt ein unstillbarer Expansionsdrang inne."

Dies ist nun freilich auf der ganzen Welt so. In München aber ist auch die Halbseide stets eine Spur nobler als anderswo. In Hamburg gibt's die Kiez-Größen, die die Puppen tanzen lassen, gewiss. Und in Düsseldorf weiß man zweifellos auch zu feiern und zu zeigen, dass man nicht auf den Kontostand schauen muss.

Aber man bleibt dabei doch, nun ja: eher seriös und auf eine gewisse Art Kosmopolit. München hingegen war immer schon anders. Irgendwie schillernder. Wahrscheinlich liegt das an der besonderen sozialen Struktur der Stadt, in der es keine Schlotbarone und wenige Industrielle gibt, dafür aber umso mehr Neureiche und vermögende Handwerker, die auch zeigen möchten, was sie haben.

Gerade letztere werden hier erstaunlich oft durch das Beiwort "Prominenten" oder "Promi" geadelt, so dass ein Gerhard Meir zum "Promi-Friseur" und ein Rudolph Moshammer zum "Promi-Schneider" aufsteigen konnten. Dies trifft bisweilen überraschenderweise selbst auf Akademiker zu, aber nur, wenn es sich um Mediziner handelt, die sich um die Wehwehchen der besseren Gesellschaft zu kümmern wissen.

Einen "Promi-Philosophen" kann man sich aus naheliegenden Gründen nur schwer vorstellen, dass es aber selbstverständlich "Promi-Schönheitschirurgen" und "Promi-Zahnärzte" (von einer besonders sprachbegabten Klatschkolumnistin gar zum "Promi-Bohrer" verkürzt!) gibt, liegt auf der Hand.

Aus diesem Personal speiste sich in den Siebzigern und Achtzigern jene Münchner Bussi-Gesellschaft, die 1982 endgültig zu bundesweiter Berühmtheit gelangte durch den Hit "Schickeria" der Spider Murphy Gang.

Bandchef Günther Sigl mokierte sich darin über die damals aufkommende Unsitte der Türsteher an Schwabinger Diskotheken und die sich besser gebende Gesellschaft: "Ja gestern hamma ghascht, doch heitstag schnupf ma Kokain, und moagn sitz ma in Stadlheim, aber Hauptsach mia san in!"

Das war eine durchaus zutreffende Zustandsbeschreibung eines großen Teils der Schicki-Szene jener Jahre, die der Filmregisseur Helmut Dietl in seiner berühmten TV-Serie "Kir Royal" (1986) dann bis zur Kenntlichkeit verfremdete. Er bediente sich dabei eines erfahrenen Anregers, des altgedienten Klatschreporters Michael Graeter.

Dietl sagt, er selbst habe sich nie besonders für Partys und das ganze Schicki-Getriebe interessiert: "Wenn ich je so eine Zeit hatte, dann war das ganz früh, als ich noch mit der Barbara Valentin verheiratet war, da lag es irgendwie nahe. Und selbst damals hat es mich eigentlich bloß phänomenologisch interessiert. Als mir dann klar war, wie es funktioniert, hat's mir aber auch gereicht."

"Phänomenologisch": Mit so einem elaborierten Wortschatz kam und kommt man in der Münchner Schickeria eh nicht weit. Und, mal ehrlich: So hätte man sie auch nicht reden hören wollen, einst den Konsul Hans-Hermann Weyer oder den "Schnorrerkönig" Poldi Waraschitz, den Putzi Holenia oder den Häppchen-Lieferanten Gerd Käfer.

Oder inzwischen dessen Sohn und Nachfolger Michael Käfer, Uschi Glas, Roberto Blanco, Giulia Siegel und die geschätzten 120 anderen, die nach Meinung von Fachleuten heute den engeren Kreis der Münchner Schickeria bilden.

Doch, es gibt sie schließlich immer noch, obwohl gewisse Verfalls-erscheinungen nicht zu übersehen sind. Wenn zum Beispiel stadtbekannte Party-Amseln letztlich doch so farblos sind, dass die Klatschreporter zu hilflosen Umschreibungen wie "Society-Lady" greifen müssen, um ihre Anwesenheit auf einer Party irgendwie zu erklären.

Oder wenn einfache Boutiquen-Besitzerinnen, die überteuerte bunte Schals verkaufen, umstandslos zur "Promi-Designerin" geadelt werden. Das, möchte man ausrufen, hätte es früher nicht gegeben!

Es gibt vielleicht zwei Gründe, warum der alte Glanz und Glimmer der Münchner Schickeria nicht mehr ganz so funkelt wie dereinst noch in den Achtzigern. Zum einen sind irgendwann die Klatschreporter, wichtige Institutionen zur Herstellung einer Bussi-Gesellschaft, einfach zu unkritisch geworden und ließen viel zu viele rein in ihre Kolumnen.

Zu Beginn der Neunziger - dies nur ein Beispiel - schaffte es sogar ein 44-jähriger "Selbstständiger aus dem Baunebengewerbe" mit Foto in die "Leute"-Kolumne der Abendzeitung. Der Grund: Er war der einmillionste Gast des Bordells "Leierkasten" und ließ sich eiskalt mit zwei leichten Damen und einer schweren Magnum-Flasche Schampus ablichten.

So etwas hebt den "Glamour-Faktor", wie man in der Branche sagt, einer Szene nicht gerade in höchste Höhen. Zum Anderen ist aber auch das Angebot an Festivitäten, auf denen man sich darstellen kann, ins beinahe Unermessliche gewachsen.

Jeder bessersituierte Gymnasiast weiß heute fürs Wochenende mindestens einen besonders exklusiven Event, zu dem man nur hinkommt, wenn man jemanden kennt. Und auch sonst gibt es Partys für alle Altersgruppen an allen nur möglichen, denkbaren Orten. Das macht es schwerer als früher für die Reichen und Schönen, noch irgendwie hervorzustechen.

Ein schönes Beispiel für diese Entwicklung findet man im Herzen der Stadt. Dort, an der Blumenstraße, hatte früher der - natürlich - "Prominenten-Wirt" Kay Wörsching sein Restaurant "Kay's Bistro": ein plüschiges, mit Kitsch und Goldflitter überladenes In-Lokal, in dem gelegentlich auch Leonard Bernstein, Marika Rökk und Tina Turner einkehrten.

"Kay's Bistro" machte vor gut drei Jahren dicht. Kay Wörsching aber ging ein paar Meter über die Straße und machte weiter - in der neuen Schrannenhalle, die stilistisch ja nicht so arg weit entfernt ist von seinem Bistro. Sein Stand nennt sich "Prosecco Teatro" und führt zehn verschiedene Prosecco-Sorten.

Dorthin verirrt sich aber kaum einmal ein Mitglied der internationalen Hautevolee, denn die Schrannenhalle ist halt doch eher ein Areal für verlebte Blondinen und verliebte Goldkettchenständer reiferen Alters, die auch einmal ein bisschen Schickeria spielen möchten.

Was sich halt heutzutage so alles Schickeria nennt ... Kein schönes Schicksal für einen Prominenten-Wirt, zu dem mal Weltstars kamen. Aber letztlich immer noch besser, als in eine Horde prügelnder Fußball-Hooligans zu geraten.

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