Weniger Zulassungen:Nutzen statt besitzen

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In Sachen Auto setzt nicht nur MVV-Chef Freitag auf einen Paradigmenwechsel. Öffentliche Verkehrsmittel, Sharing-Angebote und Fahrrad sollen das eigene Fahrzeug ersetzen

Von Nico Schwappacher, München

Mehr als 707 000 Personenkraftwagen waren mit Stand vom 31. Januar in der Stadt München zugelassen. Bei etwas mehr als 1,5 Millionen Menschen bedeutet das: Rein rechnerisch kommt fast auf jeden zweiten Münchner ein eigenes Auto - Kinder mit inbegriffen. Nimmt man Lastwagen, Busse, Motorräder und alles weitere hinzu, landet man sogar bei mehr als 875 000 zugelassenen Fahrzeugen. Gefühlt fahren diese auch tagtäglich gleich mehrmals quer durch die Stadt. Lärm, Abgase und Staus gehören nicht nur im und am Mittleren Ring zum Straßenbild. In Pasing und Obermenzing beunruhigen die Stickoxidwerte. Auf der anderen Seite bekommt man den Lärm an der Giesinger Autobahn A 995 schon seit Jahren nicht in den Griff. Und das sind nur ein paar der offenen Baustellen im Münchner Verkehr.

Man könnte meinen, wenn so viele Autos zugelassen sind, dann werden weniger Alternativen benötigt, um von A nach B zu kommen. Weit gefehlt. Zusätzlich zu den rund 90 Buslinien, jeweils acht S- und U-Bahnlinien, 13 Tram-Linien - im Sommer kommen noch Rikschas dazu - hat München nämlich auch so viele Taxis wie keine andere Stadt in Deutschland. Laut Kreisverwaltungsreferat gibt es insgesamt rund 3400 der eierlikörfarbenen Fahrzeuge in der Stadt, das heißt, auf tausend Einwohner kommen rund 2,5 Taxis.

Nun die wichtige Frage: Wird die Blechlawine auf Münchens Straßen eher größer oder kleiner? Fakt ist: München ist ein attraktiver Raum, der Menschen und - zum Leidwesen aller - auch deren fahrbare Untersätze anzieht. Ein Blick auf die vergangenen fünf Jahre zeigt zunächst kontinuierliches Wachstum sowohl bei der Bevölkerung als auch bei der Anzahl der Pkw. Seit Anfang 2013 sind beide Werte um rund acht Prozent gestiegen - und Münchens Straßen damit noch voller geworden.

Und doch gibt es einen Lichtblick im Abgasnebel: Seit dem Frühjahr 2017 haben einige Münchner ihre Autos wieder abgemeldet. Insgesamt 7000 Fahrzeuge weniger verzeichnete das Statistische Amt zum 31. Januar 2018 in seinen Zulassungsregistern. Deutlich nachgelassen hat dabei scheinbar das Vertrauen in Fahrzeuge mit Dieselmotor. Mit der Dieseldebatte und der Diskussion um Fahrverbote in Innenstädten in den vergangenen zwölf Monaten haben rund 17 000 Diesel-Fahrer ihr Auto abgemeldet. Knapp 10 000 Benziner und Autos mit anderen Antrieben wie Hybrid oder Gas sind zwar stattdessen wieder hinzugekommen, unterm Strich fahren aber rund 7000 Autos weniger durch München. Elektroautos wurden im gleichen Zeitraum rund 700 zusätzlich angemeldet. Die Zahl an sich mag im Vergleich zunächst nicht beeindrucken, bedeutet aber einen Zuwachs von über 40 Prozent in dieser Sparte.

In diese Richtung wird es, so glaubt Alexander Freitag, der Geschäftsführer der Münchner Verkehrs- und Tarifverbundes (MVV), auch weiter gehen. "Die Menschen denken immer mehr in Mobilitätsketten", beschreibt Freitag das veränderte Kundenverhalten. Öffentliche Verkehrsmittel in Verbindung mit Sharing-Angeboten und auch dem Fahrrad würden bei vielen Menschen das eigene Auto schon jetzt ersetzen. Derzeit zähle der MVV zwischen einer und zwei Millionen Fahrten täglich. Freitag erwartet in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen "Paradigmenwechsel": Nutzen statt besitzen werde immer attraktiver. Zeitlich absehbar sei dies aber nur schwer. Faktoren wie technologische Entwicklung oder auch die Bereitschaft der Politik, den Prozess zu unterstützen, würden maßgeblich mitbestimmen, wie schnell sich eine "Verkehrswende" einstelle.

Dass derzeit gerade zu den Stoßzeiten das Verkehrsnetz auch an seine Grenzen stößt, streitet Freitag nicht ab. Um den Menschen nachhaltig den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu ermöglichen, kommen jedoch die kürzlich von der Stadt verkündeten 5,5 Milliarden Euro an Investitionen ins Spiel. Damit soll insgesamt das Netz entlastet und auch die Qualität beim Fahren mit U-Bahn, S-Bahn oder Bus erhöht werden. Oberstes Ziel für Stadt und MVV sei es, das öffentliche Verkehrsnetz als Rückgrat der Bürgermobilität auszubauen.

Dass deshalb das Autofahren an sich aber nicht an Attraktivität verliert, dafür liefern die Zahlen aus der städtischen Führerscheinstelle Hinweise. Mit den Münchner Einwohnerzahlen ist auch die Anzahl der ausgestellten Fahrerlaubnisse gestiegen. Im Jahr 2012 wurden noch rund 16 750 Lizenzen für Krafträder aller Größen und Pkw ausgestellt. 2016 wurden dann rund 17 500 registriert. Zwischenzeitlich war die Zahl jedoch auf fast 21 000 im Jahr 2013 angestiegen.

Im Vergleich mit den anderen drei deutschen Millionenstädten bewegt sich München in Sachen Autodichte nicht ganz außerhalb der Norm. Während in Hamburg mit rund 783 000 Fahrzeugen bei 1,8 Millionen Menschen der Durchschnitt geringfügig unter dem der bayerischen Landeshauptstadt liegt, gibt es in Köln im Verhältnis deutlich mehr. Dort kommen auf etwas mehr als eine Million Einwohner rund 525 000 Autos. Die Einwohner Berlins scheinen nicht ganz so abhängig vom eigenen fahrbaren Untersatz zu sein. Dort wohnen inzwischen rund 3,7 Millionen Menschen, die insgesamt 1,2 Millionen Autos zugelassen haben. Kurz gesagt: Dort hat rein rechnerisch nur jeder Dritte ein Auto. Auf ganz Deutschland gerechnet ist das jedoch wiederum die Ausnahme. Bei etwas mehr als 82,5 Millionen Einwohnern waren bundesweit am 1. Januar 2018 rund 46,5 Millionen Pkw zugelassen.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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