Weltflüchtlingstag:Lebenswege am Gleis 11

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Demo im Hauptbahnhof: Einen ungewöhnlichen Ort für die Kundgebung hatten sich die Veranstalter zum Weltflüchtlingstag ausgesucht. (Foto: Catherina Hess)

"Wir wollen selber arbeiten": Bei einer Kundgebung am Hauptbahnhof tragen Asylbewerber ihre größten Wünsche vor

Von Katja Riedel

Mohammed Sharaf ist angekommen, eigentlich. Vor drei Jahren und acht Monaten hat er seine Heimat zurücklassen müssen, sein Zuhause in Homs in Syrien. Seine Freunde und Familie, die Arbeit in einem Kleidungsgeschäft. Über Jordanien und Ägypten ist er nach Libyen gereist, über Italien nach Deutschland. Seit 20 Monaten lebt Mohammed Sharaf nun in Isen im Landkreis Erding. Und er hat dort eine Erfahrung gemacht, von der er am Samstag, am Weltflüchtlingstag, am Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofes über ein Mikrofon spricht: "Die Regierung, der Staat hilft Dir nicht", sagt er in einem geübten Deutsch. "Dir hilft nur die Gesellschaft."

Und diese Gesellschaft, vor allem eine Familie in Isen, hat ihm zu einem Ausbildungsplatz als Feinmechaniker verholfen. Er würde sich darüber und darauf gerne freuen, doch Mohammed Sharaf hat Angst: Weil er in Italien europäischen Boden betreten hat, müsste er eigentlich dorthin zurück. Sein Aufenthaltsstatus, so heißt das in der Bürokratensprache, ist ungeklärt, seit 20 Monaten . "Ich weiß nicht, ob ich meine Ausbildung beginnen kann oder vorher abgeschoben werde", sagt er.

Etwa 150 Menschen sind an diesem Samstag an den Hauptbahnhof gekommen, um dort zu zeigen, was sie für eine angemessene Willkommenskultur halten. Organisiert hat diese Kundgebung ein junges, alle Parteien und viele Institutionen übergreifendes Bündnis. Ihr Symbol haben sie auf T-Shirts gedruckt: Ein verlorener Paddington-Bär steht mit seinen Koffern einsam auf dem Bahnsteig.

In der Bahnhofshalle haben die Organisatoren darum einen symbolischen Tisch aufgebaut, an dem sie neu in München ankommenden Flüchtlingen den Weg weisen wollen. An Gleis 11 spricht nicht nur Syrien-Flüchtling Mohammed Sharaf, sondern dort ergreifen auch Politiker aus dem Stadtrat das Wort: Gülseren Demirel von den Grünen, Anne Hübner von der SPD, Marian Offman von der CSU und für die FDP Gabriele Neff. Die Stadträte kritisieren, dass die Regierung viel Verantwortung auf die Kommunen abgewälzt habe. Dass Lösungen, die einer Zwangssituation geschuldet seien, nicht die Regel werden dürften, Containerunterkünfte zum Beispiel. Gülseren Demirel sagt aber auch: Man müsse alles im rechten Verhältnis betrachten: "Wenn 12 500 Flüchtlinge auf 1,5 Millionen Einwohner kommen, dann sollte man die Kirche im Dorf lassen".

Es ist nicht die einzige Münchner Flüchtlings-Kundgebung an diesem Tag; doch dem Demonstrationszug der Karawane gegen die Unterbringung in Sammelunterkünften schließen sich am Nachmittag nur wenige an. Die meisten Demonstranten sind selbst Flüchtlinge, aus verschiedenen Orten Bayerns sind sie angereist, so wie Michael Oboh aus Nigeria. Mit Frau und zwei Kleinkindern lebt er seit Anfang Dezember in Garmisch-Partenkirchen. Er hat vor allem einen Wunsch, sagt er: "Wir wollen Freiheit für jeden. Und wir wollen nicht auf Kosten anderer Menschen leben. Wir wollen kein deutsches Geld haben, wir wollen selber arbeiten". So sieht es auch Mohammed Sharaf, der Syrer aus Isen. Der hofft, bald aus dem Asylbewerberheim ausziehen zu dürfen. In eine eigene Wohnung in der Nähe seiner Arbeitsstelle und seiner Berufsschule.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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