Weitere Briefe:Eine Kulissen-Altstadt und peinliche Klinik-Einblicke

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Kulissenstadt München

Aus der ehemaligen Hauptpost in der Residenzstraße bleckt ein Luxusshop sein goldiges Schaufenstergebiss, gegenüber von Sankt Michael in der Neuhauserstraße baut sich muskelstrotzend und spiegelbebrillt ein Kaufhaus auf, neben dem die größte Renaissancekirche jenseits der Alpen blass und zart aussieht. Und jetzt wird die "Alte Akademie" zum Kommerzpopshop (" Kampf um die Arkaden", 13. Juli). Die Münchner Innenstadt bestand aus einer Nachkriegsarchitektur, die im wesentlichen die Straßenzüge und Verläufe der mittelalterlichen Stadt aufnahm und diese mit Gebäuden säumte, die mit ihren Proportionen und der Fassadengestaltung eine feinmaschige Gesamtheit bildete. Das machte lange die Stadtraumqualität Münchens aus. Als Fußgänger bewegte man sich im mittelalterlichen Stadtraum und merkte gar nicht, dass das eigentlich 50er-Jahre-Architektur war. Nachkriegsarchitekt Josef Wiedemann verstand es beim Wiederaufbau der Alten Akademie meisterlich, die Qualitäten der durch Zerstörung verlorenen Architektur zu erkennen und diese für einen Neubau zu nutzen. Auch damals wurde durch die Einführung von Arkaden der große Verlust an Nutzfläche beklagt, die Aufwertung des Stadtraumes war den Stadtgestaltern aber wichtiger, das übermäßige Aufreißen der Fassaden durch Schaufenster wollte man vermeiden. Dieses Verständnis für Stadtgestalt ist im Wettstreit der Investoren verloren gegangen. Seit Jahren wird die einst stadtbildprägende Architektur ausgehöhlt und abgerissen. Es bleibt bestenfalls die Fassadenkulisse stehen. Wo diese fällt, zeigt sich die ungeschminkte Kommerzarchitektur. An den Rückseiten in "malerischen Altstadtgassen" öffnen sich die Riesenschlünde für Anlieferung und Tiefgaragenzufahrten. In der "Weltstadt mit Herz" schlägt schon lange kein Herz mehr. Brigitte Püls, München

Peinliche Klinik-Einblicke

Die Datensammlung von BR Data bringt zum ersten Mal einen echten Einblick in die Unterversorgung in der Münchner Geburtshilfe (" Geburtskliniken nachts überlastet", 6. Juli). Hut ab vor der Ausdauer und Gründlichkeit, mit der die Zahlen analysiert wurden. Vielleicht gerade deshalb wurde unmittelbar nach Veröffentlichung der brisanten Daten die Internetplattformen Ivena mit einem Login ausgestattet. Ivena zeigte uns und vor allem den Krankenwagenfahrern jahrelang, welche Abteilung in welchem Krankenhaus gerade wegen Personalmangel oder Platzmangel von der Leitstelle abgemeldet war und keine neuen Patienten mehr aufnehmen konnte.

Im Schnitt zwischen 20 und 34 Prozent der Kreißsäle sind in München täglich abgemeldet, laut BR mit steigender Tendenz. Das macht sich nicht gut im Wahlkampf. Statt durchgreifende Maßnahmen anzukündigen, wurde augenblicklich der Zugang der Plattform gesperrt. Es ist ja auch wirklich zutiefst peinlich, dass es eine reiche Stadt wie München nicht hinbekommt, ihre jungen Familien anständig zu versorgen. Noch peinlicher wird es allerdings, wenn man glaubt es hilft, die missliche Lage hinter einem Login zu verstecken. Claudia Lowitz, Hebamme, München

© SZ vom 17.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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