Was bringt Ceta?:Die ältere Schwester von TTIP

Lesezeit: 3 min

Das Abkommen mit Kanada hat eine Debatte über demokratische Werte ausgelöst

Von Silvia Liebrich, München

Am Anfang sah es nach den üblichen Routineverhandlungen aus. Als die Gespräche für das kanadisch-europäische Abkommen Ceta vor gut sieben Jahren starteten, nahmen die Medien so gut wie keine Notiz davon. Bis dahin war dies auch so üblich, verhandelt wurde in solchen Fällen im Stillen und hinter den Kulissen. Berichtet wurde meist erst dann, wenn es einen erfolgreichen Abschluss zu loben galt und Regierungschefs mit ernsten Mienen Unterschriften unter Verträge setzten.

Dabei lieferte schon der offizielle Titel des geplanten Vertrages erste Hinweise, dass es hier nicht nur um Zölle und dröge Exportquoten geht, sondern um deutlich mehr. Comprehensive Economic and Trade Agreement bedeutet übersetzt: umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen.

In die Kritik geriet Ceta aber erst 2012 im Zuge der massiven Proteste gegen Acta, ein Abkommen zwischen mehreren Ländern über Urheberrechte, das vom EU-Parlament gestoppt wurde, weil dieses die Freiheit im Internet bedroht sah. 2012 sickerten geheime Verhandlungspapiere durch, die zeigten, dass Ceta ähnlich umstrittene Passagen enthielt wie Acta.

Die EU-Kommission ließ sich davon nicht beirren. Sie pries Ceta als "fantastisches Signal für offene Märkte". Länder wie Deutschland drängten auf einen raschen Abschluss. Im September 2014 war es soweit. Die Zustimmung des EU-Parlaments und der Regierungen der einzelnen Mitgliedsländer schien reine Formsache. Als sich jedoch immer deutlicher abzeichnete, dass Ceta so etwas wie die ältere, aber unbeachtete Schwester von TTIP ist, regte sich Widerstand. Auch in Brüssel, vor allem aber in Deutschland, Österreich und Luxemburg. Der zunehmende Protest in der Bevölkerung gegen das Abkommen zwischen den USA und Europa (TTIP) richtete sich auch gegen das mit Kanada.

Was einst als Gespräch über einen intensiveren Handel begann, hat sich zu einer grundlegenden Debatte über gesellschaftliche und demokratische Grundwerte entwickelt. Kritiker beklagen die intransparenten Verhandlungen und die mangelnde Beteiligung der Bürger. Befürworter werfen ihnen im Gegenzug Freihandelsfeindlichkeit und irrationale Ängste vor.

Die EU-Kommission steht heute vor dem Scherbenhaufen ihrer Freihandelspolitik. Zwei der wichtigsten Abkommen der vergangenen Jahre sind heftig umstritten. TTIP steht auf der Kippe. Unklar ist, ob Ceta in Kraft treten kann, die EU-Kommission willigte zuletzt zwar ein, dass auch die nationalen Parlamente darüber abstimmen sollen. Doch damit steigt auch das Risiko, dass Ceta scheitert.

Ungeachtet dessen wird der EU-Rat voraussichtlich im Oktober entscheiden, ob der Vertrag vorläufig in Kraft treten kann, also ohne die Zustimmung der Länder-Parlamente. Zugleich häufen sich die Klagen beim Bundesverfassungsgericht. Das soll klären, ob Ceta gegen das Grundgesetz, Europarecht und die Rechte des Bundestages verstößt. Insgesamt sind vier Klagen dieser Art in Karlsruhe eingegangen.

Worum es eigentlich geht bei dem Abkommen mit Kanada, ist längst in den Hintergrund getreten. In den Prognosen, die die EU-Kommission zu Beginn der Gespräche vorlegte, werden mehr Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum in Aussicht gestellt. So könnte etwa das Handelsvolumen bei Waren und Dienstleistungen um 22,9 Prozent oder 25,7 Milliarden Euro steigen, heißt es. Wirklich belastbar sind solche Zahlen allerdings nicht, weil zu viele Unbekannte in der Rechnung stecken.

Kanada ist für Europa einer der wichtigsten Handelspartner nach den USA. Für europäische Unternehmen geht es dabei vor allem um Maschinen, Autos und Chemikalien. Der Fokus von Kanada liegt auf Dienstleistungen, Rohstoffen und Agrarerzeugnissen. Es ist jedoch nicht der Austausch von Waren, der die Gemüter erhitzt, sondern die Rahmenbedingungen. Es sind vor allem die umstrittenen Schutzregeln für Investoren und die Einflussnahme der Wirtschaft auf die künftige Gesetzgebung im gemeinsamen Wirtschaftsraum, die Misstrauen schüren.

Die große Befürchtung ist, dass die Rechte der Bürger, Verbraucherschutz, Daseinsvorsorge oder Umweltschutz dadurch beschnitten werden könnten. Inzwischen liegen diverse Gutachten vor, die diese Vorwürfe belegen oder entkräften sollen.

Unter dem Druck der Kritik wurden die Regeln für Investoren zuletzt nachgebessert. Statt privater Schiedsgerichte sollen nun öffentliche Gerichtshöfe Streitereien zwischen Investoren und Staaten schlichten. Doch den Kritikern reicht das nicht. Sie verlangen, dass das Abkommen gar nicht erst umgesetzt wird. Industrie und Wirtschaft dies- und jenseits des Atlantiks pochen dagegen auf eine schnelle Umsetzung.

© SZ vom 03.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: