Wahldebakel der SPD in München und Bayern:Die Genossen verdrängen die Kritik

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SZ-Leser werfen der Partei vor, keine Konsequenzen aus der Bundestagswahl zu ziehen und stattdessen weiterzuwursteln

"Auf zum letzten Gefecht" vom 30. September/1. Oktober:

Hohlformeln statt Inhalt

Nach dem Wahldebakel für die SPD macht sich Münchens Stadtchefin Claudia Tausend Gedanken über die Gründe. Es sei darum gegangen, "Innovation und Gerechtigkeit im Wahlprogramm und der Wahlkampagne überzeugend den Wählern zu kommunizieren". Was nicht gelungen sei. Wenig verwunderlich: Wenn man etwas "kommunizieren" will, muss es auch inhaltlich relevant sein - die Hohlformeln sind es nicht. Weiter nutzt die beste Kommunikation nichts, wenn man nichts Bedeutsames mitzuteilen hat. Last but not least bildet das Programm ja die Grundlage einer Kampagne, die Formulierung suggeriert, das seien verschiedene Dinge. Frau Tausends Äußerung ist also sprachlich und inhaltlich eine Farce.

Wenn die SPD - nicht nur in München - wirklich an einer Analyse der Gründe für ihre Abwahl interessiert wäre, müsste sie bei der Regierung Schröder beginnen, beziehungsweise bei den zahlreichen neoliberalen Entwicklungen, die den Sozialstaat unterhöhlt haben. Erodierung des staatlichen Rentensystems, Förderung von Zeitarbeit und Niedriglohnbeschäftigung, Lockerung des Kündigungsschutzes, Verkauf von staatlichen und städtischen Wohnungen an private Heuschrecken, um nur einiges zu nennen, haben zu der immer wieder konstatierten tiefen Spaltung des Gesellschaft geführt. Der sozialstaatliche Gedanke ist von dem der "privaten Vorsorge" oder der "individuellen Verantwortung" ersetzt worden - gleichzeitig wurden aber die grundlegendsten Voraussetzungen dafür praktisch unmöglich gemacht. Welcher Hohn! Die SPD ist beleidigt, weil die Einführung des Mindestlohns nicht honoriert wurde - nein, er reicht vielerorts nicht zum Leben, und schon gar nicht für eine ausreichende Rente. Und auch die Mietpreisbremse erfuhr kein Lob - die Vermieter in den Ballungszentren lachen sich schief darüber: Wer überhaupt eine Wohnung findet, ist bereit, fast jeden Preis zu zahlen! Solange die SPD keine grundlegende programmatische Kritik betreibt, wird sie ihre potenzielle Wählerschaft an andere, auch rechte Parteien, verlieren. Ein Gespräch mit dem verfemten Oskar Lafontaine oder der klugen Sara Wagenknecht könnte vielleicht wichtige Impulse geben. Sybille Böhm, München

Selbstverliebt

Die Partei ist im Übermaß fixiert auf sich selbst. Treffender lässt es sich wohl kaum beschreiben. Insbesondere die Münchner Stadtrats-SPD ist sich selbst genug. Sie regiert in manchen Bereichen, als hätte sie die absolute Mehrheit. Beispiel: Das Münchner Sozialwesen, das derzeit faktisch von einer einzelnen Person dirigiert wird. Gesetz ist, was Christian Müller spricht, da wagt keiner eine Gegenrede. Den guten Kontakt und inhaltlichen Austausch zu den sozialen Einrichtungen und deren Trägern hat die SPD längst verloren, ausgenommen natürlich zu solchen, mit denen freundschaftliche Beziehungen oder eigene berufliche Interessen bestehen. Mit der Berufung einer Bürokratin wie Frau Schiwy als Sozialreferentin hat sich diese Entfremdung noch einmal verschärft.

Die SPD lässt ihre eigene Verwaltung und ihre (sozialen) Auftragnehmer hängen, indem sie in der wachsenden Stadt immer mehr Arbeit auf immer weniger Köpfe verteilt. Bürgerschaftliches Engagement ist für sie nur interessant, wenn es kein Geld kostet. Und sie glaubt, dass die Bürger dieser Stadt das nicht mitbekommen? Die Münchner SPD hat sich weit von den Bürgern entfernt. Yvonne Hagen, München

Sympathie verloren

Das große Jammern der SPD nach diesen verheerenden Wahlergebnissen im Bund und speziell in Bayern ist für mich als kritischen Beobachter nur bedingt nachvollziehbar. Viele Probleme sind hausgemacht. Es beginnt damit, dass die SPD bis heute nicht ernsthaft darüber nachdenkt, auf den nicht mehr in die Zeit passenden Begriff der "Genossen" bei der Anrede zu verzichten. Auch die Öffnung der Partei für parteilose Kandidaten in wichtigen Funktionen wäre hilfreich, den jetzt beabsichtigten Erneuerungsprozess glaubhaft einzuleiten. In keiner Partei erscheint mir der Filz größer zu sein als in der SPD. Dass der Wahlerfolg/Misserfolg häufig auch das Ergebnis einer geeigneten Kandidatenauswahl sein kann, hat man in den Spitzen der Partei offensichtlich bis heute nicht erkannt. Ich wünsche den jetzt Verantwortlichen viel Geschick und zukunftsweisendes Denken bei der Umsetzung einer neuen Strategie, die den Menschen die SPD wieder sympathisch macht. Günther Strebel, Kirchseeon

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© SZ vom 09.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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