Wahlbeteiligung:Sprechstunde beim Phantom

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SPD und Grüne wollen die Münchner für Kommunalpolitik begeistern - mit mehr Präsenz und besseren Informationen

Von Heiner Effern

Die Grünen und die SPD reagieren auf die alarmierende Studie über Nichtwähler in München. Um die Bürger wieder besser zu erreichen, wollen die Grünen eine Sprechstunde des Stadtrats einführen, die in wechselnder Besetzung jeden Monat in einem anderen Viertel stattfinden soll. Die Bezirksausschüsse sollen einmal im Jahr ein ähnliches Format an einem zentralen Ort ihres Gebietes anbieten. Des weiteren fordern die Grünen und die SPD unabhängig voneinander eine Informationskampagne, um demokratiemüde Menschen wieder zu begeistern. Für Erstwähler, die in besonders hoher Zahl ihre Stimme nicht abgeben, wollen die zwei Fraktionen jeweils Veranstaltungen und Programme etablieren, die den jungen Menschen die Bedeutung von Wahlen altersgerecht vermitteln.

Das miserable Zeugnis, das Nichtwähler ihren Kommunalpolitikern in einer Studie Ludwig-Maximilians-Universität ausgestellt haben, dürfe "nicht wirkungslos verpuffen", fordert die neue Grünen-Fraktionschefin Katrin Habenschaden. Der Soziologe Werner Fröhlich hatte nach der Bundestagswahl 2017 etwa 1000 Münchner zu ihrem Wahlverhalten befragt. Vor gut zwei Wochen stellte er die Ergebnisse vor: Sechs von zehn Münchnern kritisieren, dass sich die Kommunalpolitiker viel zu wenig in ihrem Viertel sehen lassen oder nur aus Berechnung vor Wahlen aufkreuzten. Nicht einmal jeder fünfte ist davon überzeugt, dass sie den Menschen zuhören und sich um ihre Anliegen kümmern. Viele fühlen sich zu wenig oder kaum verständlich über Kommunalpolitik informiert.

"Fehlendes Vertrauen, mangelnde Präsenz der Stadtpolitiker vor Ort, das Gefühl vieler Bürgerinnen und Bürger, nicht ausreichend informiert zu werden - all das erfordert gemeinsame Bemühungen von Politik und Stadtverwaltung - und auch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen", erklärte Habenschaden. Für die ersten Schritte haben die Grünen fünf Anträge bei der Stadt eingereicht. Dabei nahm sie wie ihre Kollegen von der SPD Anleihe bei den konkreten Vorschlägen, die der Soziologe Fröhlich auf der Basis seiner Untersuchung entwickelt hat. Im Kern bescheinigte er den Politikern, dass sie viel unterwegs seien, aber überdenken müssten, ob sie mit ihren Veranstaltungen die Menschen noch erreichten. Das gilt vor allem für diejenigen, die überlegen, ob sie noch oder wieder zu einer Wahl gehen sollen. Immerhin vier von zehn befragten Stimmen-Verweigerern schließen in der Studie nicht aus, beim nächsten Mal ihre Kreuzchen wieder zu machen. Bei der letzten Kommunalwahl 2014 beteiligten sich nur noch 42 Prozent der Münchner. Das ist der Tiefpunkt eines seit vielen Jahren negativen Trends.

Habenschaden will deshalb forcieren, dass Stadträte aller Fraktionen oder Gruppierungen einmal im Monat in ein Stadtviertel kommen. Dort sollen die Probleme der Besucher offen diskutiert werden, ein Moderator soll die Gespräche so lenken, dass niemand zu kurz kommt. Das neue Format soll zunächst auf Probe bis zur Kommunalwahl 2020 laufen. Gleiches gilt für die zusätzliche Bürgersprechstunde der Bezirksausschüsse.

Für politische Aufklärung und Mobilisierung ziehen SPD und Grüne fast deckungsgleiche Lehren. Die Fachstelle für Demokratie und das Bildungsreferat sollen Kampagnen und Veranstaltungen konzipieren, um die Bedeutung von Kommunalpolitik und Chancen der Mitbestimmung wieder stärker in den Menschen zu verankern. Dafür sollen unter anderem auch soziale Netzwerke, lokale Wochenblätter, Fahrgastfernsehen etwa im öffentlichen Nahverkehr oder Broschüren eingesetzt werden. Die SPD will zudem die Stadtschülersprecher und die Jugendverbände einbeziehen, die teilweise schon über eigene Angebote zur Förderung der Demokratie verfügen. "Auf keiner politischen Ebene sind die Möglichkeiten, aktiv mitzugestalten, so unmittelbar wie in der Kommunalpolitik. Was hier beschlossen wird, spüren die Bürgerinnen und Bürger direkt vor Ort", heißt es von der SPD-Fraktion. Wie menschennah die Genossen schon denken, zeigt sich an ihrem Antrag: "Warum Kommunalpolitik sexy ist" steht dort als Überschrift.

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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