Vorreiter:"Das war schon ein Zwang, hat aber gut funktioniert"

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In Wien gibt es eine eigene Abteilung für Gender Budgeting. Leiterin Michaela Schatz erklärt, wo die Gleichstellung behindert wird und welche Projekte erfolgreich sind

Interview von Heiner Effern, Wien

In Österreich ist die gerechte Verteilung der öffentlichen Mittel auf die Interessen von Frauen und Männern sogar in der Verfassung verankert. Die Stadt Wien hat in ihrem Magistrat ein eigenes Referat für das sogenannte Gender Budgeting eingerichtet. Leiterin Michaela Schatz, 43, erklärt, worum es bei ihrer Arbeit genau geht, wie die Verwaltung in der Praxis vorgeht und welche Erfolge sich damit erzielen lassen.

SZ: Welches Anliegen steckt hinter dem etwas sperrigen Fachbegriff Gender Budgeting?

Michaela Schatz: Es geht darum, ob die Steuern, die jeder einzelne zahlt, wieder gerecht auf die Geschlechter verteilt werden. Dafür untersuchen wir im Haushalt der Stadt, wo die öffentlichen Mittel hingehen und was sie dort bewirken. Die Frage ist, ob die Ausschüttung der Gleichstellung dient oder diese dadurch behindert wird.

Was ist Ihre Antwort darauf?

Die Verteilung ist selten ganz gerecht. Das liegt aber daran, dass man sich erst mal bewusst machen muss, dass es Ungleichheiten gibt, die man ausmerzen muss. Die Leute glauben, dass alle die gleichen Leistungen beanspruchen können. Wenn man aber einen genauen Blick darauf wirft, sieht man erst, dass es eben nicht so ist. Da geht es nicht nur um direkte Geldausschüttung, sondern auch darum, wer hat welchen Zugang zu Leistungen, die die Stadt anzubieten hat. Das beginnt schon bei der Frage, wie lange ein Amt offen ist. Deswegen muss ich als Stadt in einem ersten Schritt meine Leistungen untersuchen und schauen: Kommen die gleichermaßen bei allen Geschlechtern an?

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Die Fachhochschulen in Wien. Wenn eine Schule in ihren Räumen umbauen möchte und dafür eine Förderung einreicht, wird die nur dann gewährt, wenn die Maßnahme auch einen Gender-Aspekt hat. Das kann zum Beispiel das Einrichten einer Kindergarten-Gruppe sein, damit Studentinnen, während sie lernen, ihre Kinder dort betreuen lassen können. Wäre ein solcher Aspekt nicht dabei gewesen, würde die Stadt die Förderung nicht auszahlen. Das haben wir seit zirka zehn Jahren laufen mit dem Effekt, dass der weibliche Anteil an den Fachhochschulen von anfänglich 30 auf jetzt mehr als 40 Prozent angestiegen ist.

Für die Fachhochschulen bedeutet das höhere Ausgaben. Mussten Sie diese zur Gender-Gerechtigkeit zwingen?

In der Ausschreibung für das Förderprogramm steht diese als Bedingung drin. Wenn die Fachhochschulen das nicht berücksichtigen, haben sie die Ausschreibung falsch gelesen. Das war schon ein Zwang, hat aber gut funktioniert.

Gibt es auch Bereiche, wo Sie gezielt Männer fördern?

Wir haben seit 2009 den beitragsfreien Kindergarten in Wien. Das kostet natürlich einiges an Geld, hat aber auch den Effekt, dass wir mehr Plätze anbieten müssen und mehr Pädagogen brauchen. Da schaut die Stadt extra, dass wir männliche Erzieher anwerben. In der Bildungsanstalt für Pädagogen hatten wir früher nur ein Prozent Männer, mittlerweile zirka fünf. Den Beruf des Kindergärtners haben wir dafür eigens beworben.

Es wird aber auch Bereiche geben, wo man nicht sofort an eine ungerechte Verteilung der Mittel denkt.

Der Straßenraum. Dort ist es so, dass die Frauen meistens zu Fuß gehen und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, und die Männer hauptsächlich mit dem Auto unterwegs sind. Stecke ich mehr Geld in die Straßen, fördere ich eher die Männer. Stecke ich mehr Geld in die Gehsteige, profitieren die Frauen mehr davon. Etwa durch eine bessere Beleuchtung, die Angsträume verhindert, oder breitere Wege, dass Mütter auch mit Kinderwägen durchkommen. Das wird in der Stadtplanung sehr wohl mit berücksichtigt.

War es anfangs denn schwierig, das Verständnis dafür zu schaffen, dass es Gender Budgeting in Wien überhaupt braucht?

Wir haben vor ziemlich genau zehn Jahren damit angefangen. Und wir hatten das Glück, dass die Politik das sehr unterstützt hat, sonst würde es nicht funktionieren. Es ist natürlich nicht leicht, so ein neues Thema den Beteiligten verständlich zu machen, weil sie einen höheren Arbeitsaufwand zu leisten haben. Schließlich muss man zuerst die Datengrundlage schaffen, das kostet viel Zeit. Und wenn die Leute, die das untersuchen, nicht an diese Ungleichheiten glauben, ist es schwierig. Wir haben schon Zeit gebraucht, den einzelnen Damen und Herren näher zu bringen, dass das wichtig ist. Jetzt gehört es bei uns dazu.

Alles Routine mittlerweile?

Das war ein Sprung ins kalte Wasser aber man kann sagen, das hat sich gut etabliert.

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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