Vor der US-Wahl:Blaue Hochburg

Lesezeit: 5 min

Vielen US-Amerikanern in München ist Donald Trump offenbar genauso fremd wie den meisten Deutschen. Ihre Kandidatin liegt in den Umfragen zwar vorn - doch die Expats sind nicht in Feierlaune

Von Laura Kaufmann

Seine Oma wird Donald Trump wählen, und Mark Olival-Bartley hat aufgegeben, nach dem Warum zu fragen. Zu fragen, warum um alles in der Welt eine 90-jährige Frau, die vom Staat unterstützt wird und in der liberalen Umgebung von San Francisco lebt, ausgerechnet diesen Mann wählen würde. Die Diskussion fruchtet nicht. Hinterher ist nur sein Mailpostfach gefüllt mit neuer Trump-Propaganda. "Ihre Nachrichtenquellen sind Twitter und Facebook", sagt der hawaiianische Dichter. Und ihrer Filterblase dort vertraut sie mehr als herkömmlichen Nachrichten.

Olival-Bartley hat schon per Briefwahl gewählt. Er sieht und hört seine Oma nicht besonders oft, er lebt seit sechs Jahren in München. Der 47-Jährige ist einer der 7100 Münchner mit US-amerikanischem Pass. Die am Dienstag, wenn die Stimmen ausgezählt werden, aus der Ferne mitbangen. Es fällt dem Hawaiianer schwer, zu begreifen, wie es dazu kommen konnte, dass Trump überhaupt zur Wahl steht. Wenn er Kurse gibt am Amerika-Institut oder im Amerikahaus, fragen ihn seine Schüler das manchmal, aber wirklich erklären kann er es nicht. "Wir sind diese weit entwickelte Spezies, die zum Mond fliegt. Und Donald Trump glaubt, den Klimawandel hätten die Chinesen erfunden."

So fassungslos wie Mark Olival-Bartley sind viele Amerikaner, die in München leben. Stephan Baumanns kennt einige von ihnen. Sie kaufen bei ihm ein. Sein Ladencafé "Treemans" in der Maxvorstadt hat Hershey's Schokolade und koschere M&M's im Sortiment, "Canned Pumpkin" und Cranberrysauce; Dinge, die in den USA in jedem Supermarktregal zu finden sind und für viele seiner Kunden ein Stück Heimat bedeuten. "Das Damoklesschwert US-Wahl baumelt schon länger über uns", sagt er, "aber unsere Kunden sind da sehr dezent." Politik ist kein zum Smalltalk geeignetes Thema in den USA. Schließlich ist nie abzusehen, wie der andere reagiert. Erst recht nicht bei einer Wahl wie dieser, die die Gemüter spaltet wie keine zuvor.

"Wer ins Ausland geht, ist prinzipiell eher ein offener Mensch", sagt Baumanns. Ein kulturell interessierter, ein neugieriger. Und damit nicht das Klientel, das auf inhaltsleere Slogans wie "Make America Great Again" anspringt. "Die Leute haben den Brexit miterlebt, den auch niemand für möglich gehalten hätte. Sie sind angespannt. Ein Kunde, der von seiner Firma für drei Jahre hierher geschickt wurde, fragt sich: Wie sieht mein Land aus, wenn ich wieder nach Hause komme? Will ich dann überhaupt zurück?"

Wenn in den USA ein Großereignis wie ein wichtiges Footballspiel oder eben ein Wahlabend bevorsteht, gehen bei Baumanns normalerweise Vorbestellungen ein. Chips, Bier, solche Sachen. Diese Wahl aber scheint niemand feiern zu wollen.

Auch Bill Fehn nicht, er will den Wahlabend nicht einmal verfolgen. "Ich fühle mich nicht so als Amerikaner, mehr als New Yorker", sagt er. Aber wenn er von seiner Heimatstadt erzählt, glänzen seine Augen. "New York braucht keine Menschen. New York atmet, New York lebt von allein", sagt der Barchef mit dem beeindruckenden Rauschebart. Trotzdem lebt er seit etwas mehr als einem Vierteljahrhundert in München. Anfangs war es gewöhnungsbedürftig, die Leute früher noch verschlossener, so verschlossen wie die Geschäfte am Sonntag. Nie wollte Fehn für immer bleiben. Immer nur noch ein Jahr, noch ein Jahr. Und aus der Neugier auf ein anderes Land wurde schleichend ein neues Zuhause. "Jetzt habe ich die Bar", sagt er. Und da könne man nicht mehr einfach so gehen. Das "Jaded Monkey" in der Herzog-Wilhelm-Straße, eine der besten Cocktailbars der Stadt, die ebenso in New York stehen könnte. Aber Amerika ist weit weg, und gerade stört Fehn das gar nicht. Nicht, dass er politisch sehr interessiert wäre, er sieht sich als Anarchist. "Aber dieser Wahlkampf ist mehr ein Popularitätskampf, als dass es um politische Fähigkeiten geht", sagt er. "Sie bewerfen sich gegenseitig mit Müll. Für Amerikas Ansehen in der Welt ist das blöd."

Im "Jaded Monkey" gibt es eine Regel: Es wird nicht über Politik und nicht über Religion geredet. "Das bringt nur Ärger", sagt Fehn. "Und eine Diskussion hat noch niemandes Meinung geändert."

Auch Dana Newman hebt sich Gespräche über Politik für Freunde und Familie auf. Und bei ihr sind sich alle einig. "Ich glaube, es wäre schwierig, wenn zum Beispiel meine beste Freundin die andere Seite wählen wollen würde", sagt sie. "Dieser Wahlkampf entzweit das Land." Dana Newman kommt aus Florida und lebt seit sieben Jahren in München. Der Liebe wegen kam die Dreißigjährige, wie so viele. Mittlerweile hat sie sich auch in München verliebt. Selbst wenn sie anfangs nicht verstehen konnte, warum die Menschen so abweisend reagierten, als sie mit ihren ersten Deutschkenntnissen fröhlichen Smalltalk an der Supermarktkasse betreiben wollte. Einer dieser Unterschiede.

Über die kulturellen Differenzen, Missgeschicke und Fettnäpfchen zwischen Deutschen und Amerikanern macht sie witzige Youtube-Videos, die je an die 200 000 Mal geklickt werden, "Wanted Adventure" heißt ihr Kanal. Mittlerweile produziert der Bayerische Rundfunk Englischlern-Videos mit ihr. "Ich habe sehr, sehr lange überlegt, ob ich die Wahl auf meinem Kanal thematisieren soll", sagt sie. "Ich habe mich dann dagegen entschieden. Das ist einfach nicht das, weswegen die Leute meine Videos anklicken." Aber: "Ich wusste, dass ich etwas über andere Kulturen lernen würde, wenn ich im Ausland wohne", sagt Newman. "Aber ich hatte nicht erwartet, so viel über meine eigene zu lernen. Manche Dinge sieht man aus der Ferne besser." Sie mag die Work-Life-Balance in ihrem neuen Leben. "In Amerika hat man zwar alle Zeit der Welt, um im Supermarkt seine Einkäufe zusammenzupacken. Dafür wird man aus dem Restaurant gescheucht, sobald man aufgegessen hat. Hier ist es andersrum. Ich mag das."

Eleanor Mayrhofer kam vor 17 Jahren nach München, weil sie eine Zeit im Ausland leben wollte - und ist geblieben. "In den USA leben die Leute, um zu arbeiten. Hier arbeiten sie, um zu leben." Die Grafikerin genießt die Stadt. Bummelt über den Viktualienmarkt, geht mit ihrem Hund an der Isar spazieren. Fährt überall mit dem Fahrrad hin, statt wie in Los Angeles für jede Strecke ins Auto steigen zu müssen. Gerade kommt sie von einem Geburtsvorbereitungskurs in der Frauenklinik, sie ist im siebten Monat schwanger. Jetzt fragt Mayrhofer sich, was das für eine Welt sein wird, in der ihr Kind aufwächst. "Viele aus meiner Familie und meinem Bekanntenkreis in Kalifornien wählen nur zähneknirschend Hillary, weil Bernie Sanders ihr Favorit gewesen wäre. Aber sie tun es."

Manche Dinge, die in ihrer Heimat vor sich gehen, fallen ihr mittlerweile schwer zu verstehen, sagt sie. Ein funktionierendes staatliches Gesundheitssystem zum Beispiel, das sei doch kein Hexenwerk. Sie selbst sieht sich täglich Statistikseiten im Netz an, verfolgt die Prognosen. "Ich kann immer noch nicht glauben, dass dieser Clown überhaupt eine Chance hat", sagt die 44-Jährige. "Trump ist eine Gefahr für die ganze Welt, nicht nur für Amerika." Vielleicht wird sie die Wahlnacht im Wirtshaus am Bavariapark verbringen, wo die "Democrats Abroad" eine öffentliche Wahlparty veranstalten, mit CNN-Livestream. "Ich weiß aber noch nicht, ob ich es aushalte, mir das alles anzusehen."

Mark Olival-Bartley wird die Nacht im Landtag verbringen, wo das Amerikahaus dieses Jahr seine Wahlparty abhält, mit 1200 geladenen Gästen, Debatten und Diskussionsrunden. "Das Interesse an der Wahl ist definitiv größer als in anderen Jahren", sagt die Geschäftsführerin des Amerikahauses, Meike Zwingenberger. Alle Veranstaltungen um die Wahl dort waren immer ausgebucht. Auch in der Wahlnacht wird wieder diskutiert, wie Trump republikanischer Kandidat werden konnte. Dana Newman ist sich noch nicht sicher, wo sie die Wahl verfolgen wird, Bill Fehn wird hinter dem Tresen seiner Bar stehen und nicht über Politik sprechen. Andere werden Fingernägel beißen. Donuts essen. Streiten. Aber alle hoffen, irgendwann erleichtert zu sein. Nicht fassungslos.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: