Urteil:Zerstörte Liebe

Lesezeit: 3 min

Eine Mutter leiht ihrem Sohn 100 000 Euro. Später behauptet der, das Geld sei ein Geschenk gewesen. Der Fall landet vor Gericht - sogar zweimal

Von Stephan Handel, München

Wo die Freundschaft aufhört, das weiß jeder: beim Geld natürlich. Wo aber findet die Liebe von Kindern zu ihren Eltern ein Ende, und umgekehrt? Leider auch beim Geld - zumindest wenn man den Prozess betrachtet, der am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht (OLG) stattgefunden hat. Schon beim Betreten des Gerichtssaals tun die Klägerin und der Beklagte so, als würden sie sich nicht kennen. Dabei hat sie ihn doch zur Welt gebracht, vor 53 Jahren.

Anna S. aus Kolbermoor, 77 Jahre alt, hat ihrem Sohn Ulrich Geld geliehen, vor sechs Jahren, als sein Leben wegen einer Scheidung und anderer Umstände etwas neben der Spur lief. 70 000 Euro hatte sie gespart, die bekam er. Und weil das nicht reichte, nahm sie bei ihrer Bank noch ein Darlehen über 30 000 Euro auf. Als beide das in ihrer Küche vereinbarten, da sagte sie noch: "Schmier mich ja nicht aus!" Und er sagte: "Nächstes Jahr, wenn ich mein Haus verkauft habe, bekommst Du Dein Geld zurück."

Als es dann so weit war, als die Mutter auf der Rückzahlung bestand, da wollte Ulrich nichts mehr davon wissen: Sie habe ihm die 100 000 Euro ja geschenkt, deshalb werde er nichts zurückzahlen. Die Mutter klagte, bekam vor dem Landgericht Traunstein aber nur zum Teil Recht: Das 30 000-Euro-Darlehen glaubte ihr die Kammer. Dass auch die restlichen 70 000 Euro als Kredit gedacht waren, konnte sie aber nicht nachweisen. Die von ihr behauptete mündliche Vereinbarung bestritt der Sohn, sodass das Gericht in diesem Fall die Klage abwies.

Damit wäre die Angelegenheit zumindest juristisch erledigt gewesen, das Traunsteiner Urteil wurde rechtskräftig. Im vergangenen Jahr allerdings, drei Jahre nach dem Spruch, bekam die Sache eine überraschende Wende.

Aus irgendeinem Grund suchte Anna S. den Kontakt zu ihrer Ex-Schwiegertochter, die Scheidung von Ulrich war schon lange über die Bühne. Daraufhin sprach die Frau die 77-Jährige auf die 100 000 Euro an, die der Sohn ja noch zurückzahlen müsse. Woher sie das denn wisse, fragte Anna S. zurück. Na ja, aus dem Scheidungsprozess: Da habe Ulrich bei der Berechnung des Zugewinn-Ausgleichs neben anderem 100 000 Euro Schulden bei seiner Mutter geltend gemacht und als Belege einen Darlehensvertrag und eine weitere Bestätigung vorgelegt.

Das ist nun einigermaßen absurd: Denn beide Parteien, Mutter und Sohn, sind sich einig, dass die Unterschriften unter den beiden Dokumenten gefälscht sind - nur wer sie gefälscht hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Allerdings reichte das Auftauchen der Schriftstücke dem Landgericht nun, um die im Zivilverfahren überaus seltene Restitutionsklage zuzulassen. Das ist das Pendant zu dem, was in der Strafjustiz Wiederaufnahme heißt: Die Neuverhandlung eines eigentlich schon rechtskräftig abgeschlossenen Prozesses, weil neue Tatsachen aufgetaucht sind, die wahrscheinlich zu einem anderen Urteil geführt hätten, wenn das Erstgericht davon gewusst hätte.

So fand also der Streit zwischen Mutter und Sohn seine Fortsetzung vor dem OLG - mit verächtlichen Blicken, mit Schreierei, mit gegenseitigen Lügen-Vorwürfen. An einem kam der Beklagte, der Sohn also, nicht vorbei: Die - wenn auch unausgesprochene - Unterstellung, die Mutter habe den Darlehensvertrag gefälscht, passt mit der Reihenfolge der Geschehnisse nicht zusammen. Der Scheidungsprozess, in dem die Schriftstücke erstmals auftauchten, fand 2013 statt; warum hätte die Mutter ein Jahr später, als sie ihr Darlehen einklagte, auf diese Beweisstücke verzichten sollen, wenn sie davon gewusst hätte? Warum ließ sie das erste Urteil rechtskräftig werden, wenn sie doch Beweise für ihre Version der Geschichte gehabt hätte? Wie die Anwältin der Mutter sagte: "Nur der Beklagte hatte im Scheidungsprozess einen Vorteil von den gefälschten Schriftstücken."

So sah das letztlich auch das Gericht und sprach - ebenfalls ungewöhnlich - gleich das Endurteil: Der Senat sei überzeugt, sagte der Vorsitzende Richter Kilian Brodersen, dass ein mündlicher Vertrag zwischen beiden geschlossen worden sei, weshalb der Sohn verurteilt wurde, auch die verbliebenen 70 000 Euro an seine Mutter zurückzuzahlen. Für die zerstörte Liebe zwischen Mutter und Kind allerdings ist das Oberlandesgericht nicht zuständig. (Az: 3 U 1605/17)

© SZ vom 19.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: