Urteil:Erst geschlagen, dann vertragen

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Atiqullah R. zieht einem Partygast eine Flasche über den Kopf

Von Susi Wimmer

Vor dem Gerichtssaal A 210 am Amtsgericht München begrüßen sich zwei Männer freundschaftlich: Handschlag, Schulterklopfen, Lächeln. Die Beiden sind Angeklagter und Opfer, "und sie verstehen eigentlich gar nicht, was sie hier machen", sagt Franziska Kahlbau, die Anwältin von Atiqullah R. Die deutsche Justiz versteht das allerdings schon: Denn der 25-jährige Atiqullah R. soll bei einem Fest im vergangenen Jahr dem anderen eine Flasche ins Gesicht geschlagen haben. R. ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt.

Es war eine private Party, zu der Atiqullah R. mit Freunden einen Abend vor Weihnachten hinzugestoßen war. "Ich weiß den Anlass gar nicht mehr", sagt Opfer Wahid A. im Zeugenstand. Es habe Folkloremusik gegeben, es wurde getanzt - und der Alkohol floss in nicht unerheblichen Mengen. Er sei auf der Couch gesessen, rechts neben ihm auf dem Boden der ihm bis dato nicht bekannte Atiqullah R. Er habe sich mit R. unterhalten, ihm nach afghanischer Sitte seine Hilfe in allen Lebenslagen angeboten. Und als er sich zu ihm nach unten beugte, um nach einem neuen Glas zu bitten, habe dieser wohl plötzlich mit einer Flasche zugeschlagen. Die Platzwunde musste in einer Klinik genäht werden.

Der Alkohol, er scheint noch nie der Freund von Atiqullah R. gewesen zu sein. Er hat bereits zwei Vorstrafen wegen Körperverletzung und er habe auch an diesem Abend viel zu viel getrunken, lässt er seine Anwältin sagen, es tue ihm sehr leid und er könne sich an nichts erinnern. Er habe sich mit dem Opfer versöhnt. Ob Wahid A. seine Entschuldigung angenommen habe, fragt der Staatsanwalt den Geschlagenen. Ja, sagt der. "In unserem Land herrscht Krieg, seit ich auf der Welt bin. Ich bin für Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Deshalb habe ich ihm verziehen." Und dann sagt er noch: "Was das Gesetz hier vorschreibt, muss getan werden."

Richter Kai Dingerdissen lässt trotz zwei einschlägiger Vorstrafen des Angeklagten Gnade vor Recht ergehen: Er verurteilt den Schläger zu sieben Monaten auf Bewährung. "Ich trinke nie wieder", sagt der in seinem letzten Wort. Hoffentlich erinnert er sich daran.

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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