Urmel-Schöpfer Max Kruse wird 90:Einzelgänger mit großer Phantasie

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Eine Kühltruhe brachte ihn auf die Idee, das Urzeittier Urmel zu erfinden: Max Kruse, der Schöpfer beliebter Kinderbuchfiguren, wird an diesem Wochenende 90 Jahre alt.

Sabine Reithmaier

"Um mich herum sind alle tot." Max Kruse stellt das ganz nüchtern fest, nicht bitter, nicht traurig. Das sei eben eine natürliche Folge des Alters, sagt der Schöpfer des berühmten Urmels aus dem Eis. Der Autor feiert an diesem Samstag seinen 90. Geburtstag. Dann schweigt er ein bisschen. Ja doch, es gebe Momente, in denen er gleichaltrige Menschen vermisse. Aber einsam fühle er sich nicht. Dafür hätten sich viel zu viele nette Freundschaften mit jüngeren entwickelt.

"Öch kann heutö keun traurögös Löd söngen. Öch bön - glücklöch!" Schriftsteller Max Kruse, der am Samstag in Penzberg seinen 90. Geburtstag feiert, kann sich dem Ausspruch seines Seele-Fants in "Urmel aus dem Eis" nur anschließen. Sein Leben sei bisher sehr reich gewesen, sagt er. (Foto: dpa)

Der Knabe, der meinen Namen trug, war immer ein Einzelgänger." So charakterisiert sich Max Kruse in seiner vorzüglichen Autobiografie "Im Wandel der Zeit" (Thienemann), in der er seine Kindheit und Jugend scharfsinnig und mit viel selbstkritischem Witz analysiert. Geboren wurde er 1921 in Bad Kösen an der Saale, siebtes Kind berühmter Eltern, des Bildhauers Max Kruse und seiner viel jüngeren Frau, der Puppenmacherin Käte Kruse.

Die Beziehung zur Mutter war eng. "Und sehr liebevoll", sagt Kruse. Eine Schule sah das häufig kränkelnde Kind selten. "Daher hatte ich auch wenig Freunde." Zu schreiben begann er früh, ermutigt von "Kätchen", die ihren "Herzensmaxl" immer als Dichter sah. "Erst Räuberpistolen, dann Gedichte." Mit Kinderbüchern wollte er sich eigentlich nicht abgeben.

Aber die Mutter hatte mit einer Fotografin den Plan ausgeheckt, Puppenbilderbücher zu fotografieren. 1947 bat sie den Sohn, eine Geschichte dafür zu schreiben. Der fand den Gedanken absurd, aber Käte Kruse etwas abzuschlagen, war wohl nicht so leicht. Also ließ er sich im Haus der Fotografin mit den Puppen und den Steiff-Stofftieren in eine Dichterstube verbannen. "Mir mangelte jede Idee. Und ich fühlte mich bedrängt." Bis zum Mittagessen schaffte er es, die Namen zu erfinden. Nach dreitägiger Arbeit und unentwegtem Seufzen stand "Der Löwe ist los", Kruses erstes Kinderbuch. Der Löwe lag allerdings noch ein paar Jahre in der Schublade und erschien erst 1952 mit Illustrationen von Franziska Bilek. Weitere zwölf Jahre später wurde es mit der Augsburger Puppenkiste verfilmt, und von dem Zeitpunkt an konnte Kruse vom Schreiben leben.

Seinerzeit aber, 1947, fuhr Kruse zurück nach Bad Pyrmont. Dort versuchte er mit seiner ersten Frau eine neue Käte Kruse-Werkstatt aufzubauen. Denn die Manufaktur der Mutter im russischen Sektor stand kurz vor der Enteignung. Und seine Liebe als Dichter galt dem Drama. Theater.

Als er eines seiner Stücke, das er einer begeisterten Sekretärin diktiert hatte, erstmals mit großer Emphase im privaten Kreis einem Theaterkritiker vortrug, endete der szenische Vortrag in einem Höllengelächter, der Fachmann attestierte ihm grandiose Unbeholfenheit und eine allzu gesuchte, konventionelle Sprache.

Davon ist in den Kinderbüchern nichts mehr zu spüren. Termindruck dagegen wirkte sich auf die Kreativität des Autors befruchtend aus. Einen ganzen Nachmittag saß er im Herbst 1967 auf der Terrasse von Manfred Jenning, dem Dramaturg und Regisseur der Augsburger Puppenkiste, und dachte erfolglos über eine neue, von Jenning dringlich erwartete Hauptfigur nach. Ein Tier sollte es sein oder eine Phantasiegeschöpf, weil sich diese als Marionetten besser darstellen lassen. Die Tiere hatte Kruse aber durch seine Löwe-Bücher schon fast alle verwendet.

Während der Heimfahrt überlegte Kruse, was er seinem Sohn Stefan zum Abendessen kochen würde. Fisch sollte es geben: Forellen aus der Tiefkühltruhe, einer ganz neuen Errungenschaft im Hause Kruse. Den Autor faszinierte der Gedanke, nie wieder eine Konservenbüchse öffnen zu müssen. "Und die Kühltruhe brachte mich auf den Gedanken, wie es denn wäre, wenn ein Tier aus der Urzeit im Ei eingefroren die Jahrtausende überstanden hätte und heute ausgebrütet werden würde. " Ein Urzeittier, das konnte nur ein kleiner Dinosaurier sein, ein verzogenes, neugieriges Nesthäkchen in einer großen Tierfamilie. Ein paar Gemeinsamkeiten zwischen Urmel und seinem Erfinder gibt es schon. Beide sind die jüngsten in großen Familien.

Aber der häufig kränkelnde Herzensmaxl spricht fehlerfrei ganz im Gegensatz zu Waran Wawa oder Pinguin Ping, der, weil er statt sch immer pf sagt, die berühmte "Mupfel" kreierte. Kruse lacht. Daran erkenne man seine Sympathie für das Kinderbuch "Doktor Dolittle und seine Tiere" von Hugh Lofting, sagt er dann. Dort lernt der Doktor die Sprache der Tiere. "Ich habe das umgedreht und lasse Professor Tibatong die Tiere in der Sprache der Menschen unterrichten."

Die Fehler sorgten für Debatten - "ich erhielt reichlich Briefe von Lehrern, die das unangebracht fanden" - andere fanden die Geschichte überhaupt zu wenig realistisch. Der Erfolg war trotzdem gigantisch. Kruse schrieb bis 2000 weitere zehn Bände und hat sich daran gewohnt, von seinen Ärzten bis heute in Urmel-Sprache begrüßt zu werden. Doch auch die schlimmste Erfahrung seines Lebens, "mein tiefster Schmerz", ist mit Urmel verbunden. Denn als er gerade den ersten Band schrieb, starb im April 1968 sein 15-jähriger Sohn. Ein Fahrradunfall fast vor der Haustür in Ebenhausen.

Inzwischen lebt Max Kruse mit seiner chinesischen Ehefrau Shaofang in Untermaxkron, einem Ortsteil von Penzberg. Er arbeitet noch immer. "Der Computer hat mir das Alter gerettet." Die Themen, sagt er, hätten sich geändert. Eben sind "Das silberne Einhorn", ein zauberhaft leichtes Märchen von einem traurigen König und seiner mutigen Tochter, und die Liebesgeschichte "Die Tage mit Jantien" (beide Thiele Verlag) erschienen.

Seit jeher bekämpft Kruse depressive Phasen mit Schreiben, hat sich damit ein eigenes Schwert geschmiedet, wie er es den Lesern im "Schattenbruder" empfiehlt. Ein Schwert, um die Todessehnsucht, das böse zweite Ich, zu besiegen.

Was er sich zum Geburtstag wünscht? Kruse zögert keine Sekunde mit der Antwort. Noch ein paar gute, möglichst schmerzfreie Jahre. Und dann ein friedliches Einschlafen. "Aber für die Welt wünsche ich mir eine ganze Masse mehr: Dass wir den Planet, der wirklich sehr schön ist, erhalten und endlich aufhören, ihn zu zerstören."

© SZ vom 18.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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