Und jetzt?:Kämpfe im Kopf

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Gregor Weber ist jetzt Schriftsteller, nicht mehr Schauspieler. Mit dem aktuellen deutschen Fernsehprogramm kann er ohnehin nichts anfangen. (Foto: Stephan Rumpf)

Schauspieler, Feldwebel, Autor: Gregor Weber ist vielen Menschen nur als Fernseh-Kommissar bekannt. Als der Saarland-"Tatort" eingestellt wurde, ging er dreieinhalb Monate als Soldat nach Afghanistan. Jetzt versucht er, sich als Schriftsteller zu etablieren

Interview von Gerhard Fischer

Gregor Weber, 46, spielte den Sohn Stefan in der Serie Familie Heinz Becker. Man kennt ihn auch als skurrilen, saarländischen, Schnauzbart tragenden Tatort-Kommissar Stefan Deininger. Weber, der in Gauting lebt, ist aber längst nicht mehr Schauspieler. 2013 ging er dreieinhalb Monate als Soldat nach Afghanistan, schrieb ein Buch darüber und lebt jetzt von seiner Arbeit als Autor. Im Herbst wird ein Phantastik-Roman über einen Schiffskoch erscheinen. Eigentlich wollte man zuerst über diesen Roman sprechen, in der Sonne vor dem Stadtcafé, aber Weber redet gleich über Afghanistan. Das liegt ihm sehr am Herzen. Und er weiß Dinge, die man so nicht kennt in der breiten deutschen Öffentlichkeit.

Gregor Weber: Gerade hat sich das Karfreitags-Gefecht von Isa Khel zum fünften Mal gejährt. Es war am 2. April 2010.

SZ: Taliban griffen Soldaten der Bundeswehr an.

Ja, das Gefecht dauerte neun Stunden. Die deutschen Soldaten haben 28 000 Schuss abgefeuert. 28 000! Und sie haben natürlich sehr viele eingefangen. Drei deutsche Soldaten starben, acht wurden verwundet, einige schwer. Maik Mutschke etwa hatte das halbe Gesicht verbrannt und verlor ein Auge, der Sanitäter Ralf Rönckendorf büßte bei der Rettung eines Verwundeten sein Augenlicht ein. In bestimmten Kreisen hat man an das Gefecht natürlich erinnert, etwa über Facebook. Aber ansonsten weiß das hier in Deutschland keiner.

Warum beschäftigen sich die Deutschen nicht mit dem Krieg in Afghanistan?

Er ist sehr weit weg. Außerdem scheuen die Deutschen die Außen- und Sicherheitspolitik. Wir leben mitten im neuen Biedermeier, die Leute wollen ein Gärtchen, Familie - ich mag das ja auch, das ist kostbar. Aber wir denken, wir können heute die Schweiz sein: neutral. Vielleicht sind das die Nachwehen von zwei Weltkriegen, die wir angefangen haben - aber ich will mich da nicht zum Experten aufschwingen, ich bin kein Historiker.

Sie sind vor fast genau zwei Jahren als Pressefeldwebel nach Afghanistan . . .

Ich bin am 1. April 2013 von München nach Köln geflogen, dann weiter nach Usbekistan und Afghanistan. Ich war dort viel mit Journalisten unterwegs, wir waren in Armee-Camps und Polizeischulen, es ging da um den bevorstehenden Abzug der Deutschen und die Ausbildung der afghanischen Soldaten.

Haben Sie Kämpfe erlebt?

Nicht direkt. Ich war zu einer Zeit dort, als klar war, dass die Deutschen bald abziehen würden. Da haben uns die Taliban weitgehend in Ruhe gelassen. Es gab aber Gefechte um unser Lager herum, vor allem zwischen den Taliban und afghanischen Soldaten und der Polizei. Nachts hat man manchmal Feuer gehört, und dann wurden auch Verletzte mit dem Helikopter in unser Camp geflogen. Es gab Tote, auch wir hatten einen Gefallenen. An der dreitägigen Totenwache war ich beteiligt.

Der Auftrag der Bundeswehr war - zumindest in den Augen der deutschen Öffentlichkeit - in Afghanistan Brunnen zu bohren, Kindergärten zu bauen . . .

Es ist Bullshit, dass unsere Soldaten als Aufbauhelfer und Ausbilder der afghanischen Sicherheitskräfte dorthin gingen. In so einem zerstörten Land wird man in Gefechte verwickelt, ob man will oder nicht. 2008 und 2009 wichen die Taliban immer mehr nach Norden aus, wo die Deutschen stationiert waren. Da musste die Bundeswehr dann auch kämpfen, es gab vermehrt Anschläge auf Isaf-Truppen.

Sie sind nach dreieinhalb Monaten wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Viele Soldaten haben nach ihrem Afghanistan-Einsatz Probleme, manche sogar ein Posttraumatisches Belastungssyndrom. Haben Sie nach Ihrer Rückkehr unter den Erlebnissen gelitten?

Mir ist lange ein schlechter Schlaf geblieben. Das lag aber vor allem daran, dass man in der Einsatzvorbereitung und dort im Lager nie alleine schläft, sondern mit einem oder mehreren Kameraden zusammen. Es ist also nie still. Und man hörte nachts die Helikopter starten und landen. Es war einfach laut im Camp. Und natürlich gibt es so eine latente Anspannung, man ist ja nicht umsonst rund um die Uhr bewaffnet. Ich habe bis Ende 2014 schlechter geschlafen, also eineinhalb Jahre lang - aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was manche Soldaten nach ihrem Einsatz durchleben.

Haben Sie sich verändert?

Es wäre schade, wenn man sich nach so einer Erfahrung nicht verändern würde. Man schätzt sein Leben mehr, wenn man zurück ist, man schätzt das Leben im sicheren Deutschland. Man wird dankbarer, entspannter. Ich kann nicht mehr verstehen, wenn sich jemand im Supermarkt darüber aufregt, wenn seine Sorte Erdnussbutter nicht da ist. Es entsteht da schon eine Kluft, man wird auch ungeduldig und ungerecht gegenüber solchen Leuten.

Sie kamen also im Juli 2013 zurück und haben . . .

. . . sofort ein Buch über diesen Einsatz geschrieben.

"Krieg ist nur vorne scheiße, hinten geht's. Ein Selbstversuch."

Ja, ein Sachbuch. Es ist im April 2014 erschienen.

In dieser Zeit waren Sie schon Schriftsteller, nicht mehr Schauspieler.

Ich bin seit meinem Tatort-Aus 2011 nicht mehr Schauspieler gewesen. Ich hatte nur im Herbst 2013 einen kurzen Auftritt in einem Münchner Tatort - als ehemaliger Spitzenkoch, der einen Würstelstand betreibt.

Das passt. Sie haben ja mal eine Kochlehre gemacht. Und Ihr erstes Buch hieß "Kochen ist Krieg. Am Herd mit deutschen Profiköchen".

Ja, das ist 2009 erschienen. Schreiben war in dieser Zeit schon mein Hauptberuf, ich hatte auch meinen ersten Krimi geschrieben. Ich war ausgelastet, ich hatte mich damals neben dem Tatort gar nicht mehr darum gekümmert, als Schauspieler arbeiten zu können. Ich sah aber auch im Fernsehprogramm nichts, wo ich dabei sein wollte. Ich schaue heute überhaupt kein deutsches Fernsehen mehr, auch keinen Tatort oder Polizeiruf, das ist ganz weit weg. Ich kann mit den deutschen Programmen nichts anfangen.

Was gucken Sie dann?

US-Serien: Die Sopranos oder Six Feet Under, Breaking Bad, Deadwood. Auch Games of Thrones. Oder skandinavische Produktionen - Die Brücke fand ich gut. Oder Lillyhammer, eine norwegische Serie, die zwischen schreiend-komisch und sehr brutal oszilliert. Bei uns wird es wohl erst besser werden, wenn zwei Generationen Fernsehverantwortliche in Rente gehen - die heutigen sind erzählerisch und moralisch nicht aus den Fünfzigerjahren herausgekommen. Die Erzählweise in den USA ist viel komplexer. Wenn in Deutschland ein Böser auftritt, müssen gleich drei Gute kommen, um das auszugleichen. Das ist erbärmlich. Bald stellen wir uns wieder einen Nierentisch ins Wohnzimmer. Und die historischen Großprojekte sind oft fragwürdig, sie sind vereinfacht, manchmal ist das sogar Geschichtsklitterung.

Dann lieber Autor sein: Im Herbst wird ein Phantastik-Roman von Ihnen erscheinen.

Ja, es geht um einen Schiffskoch, dessen Schiff 1913 im Südatlantik untergeht. Der Koch versinkt im Meer und wacht im London einer seltsamen Zukunft wieder auf. Dort gibt es keine Nahrungsmittel und keine Köche mehr, man nimmt stattdessen Tabletten und Nahrungspulver zu sich. Nur in einer Gangsterszene gibt es noch richtiges Essen - ähnlich wie seinerzeit bei der Prohibition in New York.

Und in dieser Gangsterszene landet der Schiffskoch dann?

Ich will noch nicht zu viel verraten, aber . . . ja.

Schreiben Sie auch noch Krimis?

Von den ersten beiden . . .

. . . mit dem Kommissar Kurt Grewe . . .

. . . wird es vermutlich keine Fortsetzung geben. Aber ich schreibe gerade an einem neuen Krimi mit neuen Figuren und neuem Standort, er wird im nächsten Jahr erscheinen.

Wie haben sich Ihre Bücher verkauft?

Das Kochen-Buch hat sich am besten verkauft, die Krimis und das Afghanistan-Sachbuch nicht so gut. Aber die Verlage halten an mir als Autor fest, weil sie mich gut finden - das ist immens wichtig. Im Fernsehen geht es ja immer um Quote, Quote, Quote. Wenn die Quote nicht stimmt, ist man weg. Und manchmal ist man sogar weg, wenn die Quote stimmt, was man ja bei unserem Saarland-Tatort gesehen hat. Dabei könnten es sich die Fernsehanstalten eher leisten als die Verlage. Die Öffentlich-Rechtlichen werden über Gebühren finanziert, die Verlage müssen vom Verkauf leben. Und trotzdem halten sie zu einem, obwohl es auch mal nicht so läuft. Diese Wertschätzung ist sehr schön.

© SZ vom 23.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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