Und jetzt?:Halbe-halbe

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Die Zwillinge Alice (rechts) und Ellen Kessler, 79, sind selbst für Kenner nicht auseinanderzuhalten - für ihre aktuelle Show ist das von Vorteil. (Foto: Catherina Hess)

Die Kessler-Zwillinge sind im Deutschen Theater im Musical "Ich war noch niemals in New York" zu sehen. Einen Tag spielt Alice, einen Tag Ellen

Interview von Philipp Crone, München

Selbst der Presse-Betreuer, der die Zwillinge schon den ganzen Tag begleitet, verwechselt sie noch immer. Er flüstert: "Alice ist - glaube ich - die Linke." Alice und Ellen Kessler, 79, sind selbst für Kenner nicht auseinanderzuhalten. Und genau das machen sich die Tänzerinnen und Sängerinnen jetzt auch zu Nutze. Von Donnerstag an sind sie im Deutschen Theater im Musical "Ich war noch niemals in New York" zu sehen. Sie teilen sich eine Rolle. Einen Tag spielt Alice, einen Tag Ellen.

SZ: Wie kommt man auf die Idee, sich eine Rolle zu teilen? Normalerweise streiten sich die Schauspieler um jede Sekunde, die sie auf der Bühne stehen dürfen.

Ellen Kessler: Man hat uns das angeboten, diese Aufteilung.

Warum?

Alice Kessler: Weil sie uns beide haben wollten, aber es nur eine Mutterrolle gibt. Wir konnten nicht beide gleichzeitig auf die Bühne.

Wird das denn nun eine Premiere, diese Rollenverteilung?

Ellen Kessler: Nein, wir haben das schon einmal 2006 in Stuttgart und jetzt zuletzt in Berlin gemacht.

Es ist also nicht die Anstrengung, die Sie das Spielen aufteilen lässt.

Ellen Kessler: Nein, ich finde es nicht anstrengend, du?

Alice Kessler: Nein, wir tanzen ja nicht. Dann wäre das vielleicht etwas Anderes.

Und die Schwester, die gerade frei hat, unterstützt dann hinter der Bühne?

Ellen Kessler: Nein, die bleibt daheim. Hinter der Bühne wäre es auch nicht sehr angenehm. Da ist ja mit den ganzen Umbauten mehr los als auf der Bühne selbst.

Sie können sich aber den Text im Vorfeld ziemlich gut gegenseitig abfragen.

Alice Kessler: Das stimmt. Obwohl wir die Rollen durchaus unterschiedlich spielen.

Wer kann die Rolle denn besser?

Alice Kessler: Das weiß ich nicht.

Ellen Kessler: Du kannst auf jeden Fall höher singen!

Alice Kessler: ( lacht) Und du tiefer!

Auf wenige Menschen trifft die Aussage "Ich war noch niemals in New York" wohl so wenig zu wie auf Sie.

Alice Kessler: Ich kann gar nicht mehr nachzählen. In den Sechziger- und Siebzigerjahren waren wir mindestens zweimal pro Jahr dort. Oft kamen wir auch, um die neuesten Shows am Broadway zu sehen.

Ellen Kessler: Zur Inspiration.

Noch häufiger sind Sie wohl nur in Rom gewesen.

Ellen Kessler: Italien war unsere erste Heimat nach Deutschland. Bis vor zwei Jahren hatte ich noch eine Wohnung in Trastevere. Wir haben ja da sehr oft gearbeitet und sind noch immer bekannter in Italien als hier.

Sie sind in Ihrer Karriere erst nach 35 Jahren das erste Mal nicht zusammen aufgetreten, leben heute in zwei Häusern in München direkt nebeneinander, mit Verbindungstür. Und einmal haben Sie erzählt, die längste Zeit, die Sie getrennt waren voneinander, seien sechs Wochen gewesen. Vermisst man da den anderen, sobald er ein paar Minuten nicht da ist?

Alice Kessler: Auf der Bühne überhaupt nicht.

Ellen Kessler: Wir haben uns eigentlich nie vermisst. Als ich damals mit meinem damaligen Lebensgefährten eine Weltreise gemacht habe . . .

Alice Kessler: . . . hast du mir immer Briefe nach Hause geschrieben. Das waren kleine Tagebücher. Aber das hat uns gut getan, uns auch mal nicht zu sehen. Da konnten wir uns hinterher endlich mal was erzählen.

Wie reagieren Sie denn heute, wenn Sie verwechselt werden?

Ellen Kessler: Das passiert uns seit unserer Kindheit mehrmals täglich, daran sind wir gewöhnt.

Oft haben Sie von Ihrem Vater erzählt, einem Maschinenbau-Ingenieur, der Sie schon mit sechs Jahren zum Ballett und zum Gesangsunterricht gescheucht hat. Er habe Sie beide zusammengeschweißt damit. Wie?

Alice Kessler: Zu zweit haben wir uns beschützter gefühlt und auch stärker.

Sie sind fast 70 Jahre im Showgeschäft. Ist man da bei einer Premiere noch nervös?

Ellen und Alice Kessler:  Ja!

Aber im Zweifel können Sie ja, wenn die Premiere nicht so berauschend sein sollte, immer noch sagen: Meine Schwester war's.

Ellen Kessler: Ja! Eine sehr gute Idee.

Alice Kessler: In der Schule haben wir das auch immer gemacht. Ich war der Klassenclown und sie war der Strebsame, die Klassenbeste.

Wann fahren Sie wieder nach New York?

Alice Kessler: Ist noch nichts geplant. Wir fahren immer einmal pro Jahr im April nach Florida. New York finde ich ein wenig mühsam.

Und das Publikum dort, ist das anders als in München zum Beispiel?

Ellen Kessler: Und wie, da ist ein großer Unterschied. Die Amerikaner wollen mitgehen, die wollen einen lieben. Und die Japaner sind genauso: sehr aufmerksam, sehr willig. Die Italiener haben hingegen so eine Nero-artige Umgangsform. Entweder Daumen rauf oder runter, dazwischen gibt es nicht viel. In Spanien auch. Die südländischen Zuhörer sind am schwierigsten, die sind unaufmerksam, reden einfach, sehr eigenartig.

Haben Sie schon die letzte Vorstellung ausgelost? Wer darf ran?

Ellen Kessler: Lassen Sie sich überraschen.

© SZ vom 07.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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