Umgang mit NS-Architektur:Nur nicht zu sehr daran rühren

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Nürnberg hat sich was getraut - München nicht

Zu "Was vom Wahnsinn blieb" (31. Oktober):

Der Wiederaufbau des Münchner Stadtbilds nach dem Krieg war vom Bedürfnis nach Harmonie geprägt: Reparieren der (selbstverschuldeten) Wunden, Wiederherstellung ursprünglicher Qualitäten in Form und Maßstab. Dafür wurde der Nachkriegsstädtebau Münchens von den Ideologen des Neuanfangs (in Hannover oder Stuttgart, aber auch in Dresden und Berlin) eine Zeitlang gescholten. Nur wenige Wiederaufbauleistungen in München ragten aus dieser Pauschalkritik heraus: Vor allem ein Einzelbauwerk, das nicht simpel rekonstruiert wurde, sondern mit dem Ergebnis einer neuen Qualität repariert wurde, zeigte, dass es möglich war, Erinnerung sowohl an ursprüngliche Qualität als auch an schmerzliche Kriegszerstörung zu zelebrieren: Hans Doellgasts Alte Pinakothek. Eine gefeierte künstlerische Leistung, ein anerkanntes Mahnmal gegen Barbarei, das aus Moral und finanzieller Not der Besatzungszeit resultierte. Die meisten anderen Wiederherstellungen in München erreichen diese besonderen Ausdruckswerte nicht.

Im Umgang mit genuinen NS-Bauten (wie den beiden an der Arcisstraße, an der Tegernseer Landstraße oder an der Prinzregentenstraße) blieb man schüchtern. In keinem einzigen Fall wurde der Versuch unternommen, mit baukünstlerischen Mitteln auf die Funktionsgeschichte dieser Totalitarismus-Bauten hinzuweisen. Die unverhohlenen Einschüchterungsgebärden wurden nicht einmal relativiert; vielmehr beschleicht einen gerade in der Prinzregentenstraße (mit Troosts Haus der Deutschen Kunst und dem Luftgaukommando Bestelmeyers), der Eindruck klandestiner Wertschätzung nicht nur durch die Amerikaner, sondern auch ihrer bayerischen Nachnutzer. München hatte seit dem Barock ein Faible fürs Repräsentative. Noch Anfang der 1970er Jahre wurde der Name Bestelmeyer an der TH-München mit weihevoll gesenkter Stimme ausgesprochen. Störungen dieser homogenen Bedrohungsformen, Irritationen dieses furchtbar Identitären wie etwa in Günter Domenigs Nürnberger NS-Dokuzentrum hat man in München nicht gewagt, obwohl sie besser als jede Erinnerungstafel zum Nachdenken über diese Zeit und ihr Unterdrückungsvokabular, ihre Beeinflussungsmethoden motivieren.

Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart

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© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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