Treu geblieben:Guter Durchblick

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Von Arriflex bis Alexa: Seit mehr als einem halben Jahrhundert arbeitet Kameramann Gernot Roll mit den Kameras von Arri - inzwischen dreht er nur noch digital

Interview von Josef Grübl, München

Gernot Roll ist einer der profiliertesten Kameramänner Deutschlands. Er hat schon mit Edgar Reitz zusammen gearbeitet, mit Helmut Dietl, Caroline Link - und stets mit Arri-Technik. Gerade erst stand er am Set von Heinrich Breloers "Brecht"-Biopic, das 2018 in der ARD laufen soll. Der 78-Jährige erklärt, was die Geräte aus München so besonders macht.

SZ: Sie haben mit 14 Ihre Ausbildung als Kamera-Assistent bei den Defa-Studios in Babelsberg begonnen. Wissen Sie noch, mit welchen Kameras damals gedreht wurde?

Gernot Roll: Wir hatten vor allem französische Kameras von Éclair, die wurden damals bevorzugt für Studioaufnahmen verwendet. Es gab zwar auch ein paar Arri-Kameras, die sehr gut waren, aber die waren nicht für Studio- oder Volltonaufnahmen geeignet.

Warum nicht?

Arri hatte damals noch keine Studiokameras, die so leise waren, dass man damit Ton drehen hätte können.

Aber was war dann das Besondere der Arri-Kameras?

Arri hat in den Dreißigerjahren die erste Spiegelreflexkamera der Welt entwickelt, die Arriflex IIC mit Revolverkopf. Damit sind sie berühmt geworden. Die IIC hatte den großen Vorteil, dass man durch den Sucher schauen und das Originalbild sehen konnte. Das konnten die anderen nicht.

Mit anderen Kameras konnte man nicht sehen, was man gerade aufnahm?

Nur so ungefähr. Man hat seitlich von der Kamera Sucher angebracht, damit konnte man erahnen, wie die Bilder aussehen werden. Aber das war nie perfekt, erst durch die Arri-Kameras hat sich das geändert.

Ab wann waren die Kameras von Arri studiotauglich?

Das genaue Datum weiß ich nicht. Als ich 1960 nach München zur Bavaria Film gekommen bin, gab es aber schon welche. Arri hat damals die IIC-Kamera in ein großes Gehäuse hineingebaut. Das war der sogenannte Blimp - ein Gehäuse, das nur für den Schallschutz da war.

Deshalb waren die Kameras zu dieser Zeit auch so schwer und unbeweglich.

Ja. Wenn man Film durch eine Kamera transportiert, gibt es eben Geräusche - und die musste man irgendwie dämpfen. In den Sechzigerjahren brachte Arri aber die Kameras der BL-Serie heraus. Das waren komplett neu konstruierte Geräte, die kleiner und auch leiser waren.

Wurden die Objektive im Laufe der Jahrzehnte auch immer besser?

Klar, man braucht heute sehr viel weniger Lichtequipment. Auch die Lampen sind viel besser geworden, da ist Arri ja ebenfalls Marktführer. Es gibt aber Filme, die ich mit ganz lichtempfindlichen Objektiven gedreht habe, "Rossini" zum Beispiel.

Meinen Sie die berühmten Kerzenszenen des Dietl-Kinohits?

Genau. Da hatten wir ganz wenig Licht, nur die Kerzen - und die Optik war weit offen. Deswegen hatten wir auch wenig Tiefenschärfe, da wurde dann über Sachen diskutiert wie: Legen wir die Schärfe jetzt vorne oder hinten ins Auge?

"Rossini" wurde noch auf Film gedreht. Heute arbeiten Sie nur noch mit digitalen Kameras. Wann haben Sie gewechselt?

Zum ersten Mal habe ich das 2008 gemacht, beim Mario-Barth-Film "Männersache". Da war die Kamera nicht so vordringlich, das war für mich auch eine Art Lernfilm. Im Fernsehen hat man zu dieser Zeit schon länger mit digitalen Kameras gearbeitet, im Kino war ich angeblich der Erste. Vorher habe ich Tests gedreht, erst mit einer Filmkamera und dann noch mal mit einer digitalen Kamera. Die Aufnahmen habe ich gegenüber gestellt - und da hat das Digitale zumindest nicht verloren.

Mussten Sie bei Ihren Kollegen trotzdem Überzeugungsarbeit leisten?

Ja, nach dem Barth-Film habe ich "Henri 4" mit Jo Baier gemacht. Da haben alle zu mir gesagt: "Bist du verrückt? Du kannst doch keinen Historienfilm auf Video drehen." Damals sagte man noch Video, dabei war die Technik schon weiter. Und es war auch so, der Film sah toll aus. Als ich mich von Jo Baier verabschiedet habe, sagten wir beide: "Nie wieder Film." Und dabei sind wir geblieben.

Trauern Sie den alten Zeiten gar nicht hinterher?

Nein, wieso sollte ich? Die Nostalgiker, die dem alten Film nachweinen, gibt es zwar noch, sie werden aber weniger. Ich glaube auch, dass es nur daran liegt, dass sie die digitale Aufnahmetechnik nicht richtig beherrschen.

Es gibt mittlerweile Spielfilme, die mit dem iPhone gedreht werden. Was halten Sie davon?

Die Technik wird immer besser, nach zwei Jahren ist eine digitale Kamera veraltet. Letztes Jahr habe ich mit Daniel Harrich einen Film in Indien gedreht, "Gift" hieß der. Da gab es eine Zug-Szene, die wir mit einer ganz kleinen Kamera gedreht haben. Das ist niemandem aufgefallen. Aber man erkennt es schon noch: Wenn ich mit einem Handy oder einem Fotoapparat drehe, sieht es immer ein bisschen matschig aus.

Heute drehen Filmemacher auf der ganzen Welt mit einer Alexa, der digitalen Kamera von Arri. Warum?

Das ist halt einfach eine sehr gute Kamera. Ich drehe seit zehn Jahren nichts mehr mit Dolly oder Schienen - da die Kameras so klein sind, kann man das alles mit einer Steadicam machen. Das spart so viel Zeit und man hat mehr Raum für den kreativen Prozess. Das halte ich für ganz wesentlich. Denn Filme macht man immer noch mit dem Kopf, nicht mit dem Gerät.

© SZ vom 12.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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