Transplantationen:Reihenweise gefälschte Patientendaten

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Im Klinikum Großhadern gab es Unregelmäßigkeiten beim Transplantationsprogramm. Kranke Menschen sollen noch kränker gemacht worden sein, damit sie auf der Warteliste nach vorne rücken. Damit gerät erstmals ein Haus wegen Spenderlungen in die Schlagzeilen

Von Christina Berndt

Das Klinikum Großhadern hat nun auch Probleme mit Lungentransplantationen. Bei mehr als 30 Patienten, denen in dem Klinikum der Universität München eine Spenderlunge transplantiert wurde, waren Daten aus der Patientenakte manipuliert worden, teilte der Ärztliche Direktor, Karl-Walter Jauch, am Freitagmorgen mit. Die Patienten seien allerdings vor ihrer Transplantation nicht in Großhadern behandelt worden, sie hätten in der Asklepios-Fachklinik in Gauting auf eine Spenderlunge gewartet. Dort hätten Ärzte die Patientendaten frisiert.

In Großhadern sei es dagegen nur bei drei Patienten zu Unregelmäßigkeiten beim Übertragen von Daten gekommen. "Wir werten das als Flüchtigkeitsfehler", so Jauch. "Kein Mitarbeiter aus Großhadern hat Informationen gefälscht." Gautinger Ärzte aber hätten bewusst Angaben verändert oder Messwerte hinzugefügt. "Offenbar wollten sie ihren Patienten so zu einem Spenderorgan verhelfen", sagte Jauch.

Er betonte: Die Kooperation mit der Gautinger Klinik in Sachen Lungentransplantation sei nach Bekanntwerden der Manipulationen beendet worden. Der Asklepios-Konzern bestätigte die "Auffälligkeiten in der Dokumentation". Allerdings seien alle betroffenen Patienten hochdringliche Fälle gewesen, sagte ein Sprecher: "Alle brauchten ein Organ, und es hat sich auch niemand bereichert." Der Sprecher wies darauf hin, dass das Klinikum Großhadern für die Meldung von Patientendaten an die Organverteilungsstelle Eurotransplant zuständig sei. In Großhadern hätte man daher die Daten aus Gauting überprüfen müssen. Großhaderns Rechtsbeistand, der emeritierte Juraprofessor Ulrich Schroth, sagte hingegen: "Die Fehler waren für Großhadern im täglichen Arbeitsstress nicht zu entdecken."

"Auffälligkeiten in der Dokumentation": Die Asklepios-Fachklinik in Gauting soll getrickst haben. (Foto: dpa)

Lungenkranke hatten zu der Zeit, als die Manipulationen passierten, nur dann eine Chance auf ein Spenderorgan, wenn Eurotransplant ihren Zustand als "hochdringlich" (kurz "HU" für "high urgency") beurteilte. Die Regeln änderten sich im Dezember 2011, seither hat es Jauch zufolge auch kaum noch gefälschte Daten aus Gauting gegeben. "2013 und 2014 haben wir gar keine Auffälligkeiten mehr gesehen." Damit ein Patient als hochdringlicher Fall galt, mussten Ärzte alle zwei Wochen den HU-Status neu bei Eurotransplant beantragen. Dabei sollten Daten über den Gesamtzustand des Patienten und die Menge an zusätzlichem Sauerstoff, die er brauchte, untermauern, wie dringend er ein Organ benötigt. Auf den Papieren, die die Gautinger Ärzte nach Großhadern faxten, seien zum Teil Blutdruckwerte hinzugefügt worden, so Jauch. Auch wurde die Menge an Sauerstoff, die angeblich verabreicht worden war, vergrößert. "Einen Einfluss auf die Zuteilung eines Organs hatten diese Veränderungen allerdings eher nicht", sagt Jauch. Dies sieht der Asklepios-Konzern auch so. Trotzdem habe die Staatsanwaltschaft die Akten erhalten.

Auf die Unregelmäßigkeiten aufmerksam wurde Großhadern durch einen Routine-Besuch der Prüfungs- und Überwachungskommission (PÜK), die für die Kontrolle aller Transplantationszentren zuständig ist. Als die Prüfer im April im Klinikum waren, stellten sie erste Diskrepanzen zwischen den Original-Patientenakten der in Gauting betreuten Patienten und den HU-Anträgen an Eurotransplant fest. Das Klinikum beschloss, den Berchtesgadener Lungenfachmann Klaus Kenn mit einer Evaluation zu beauftragen. Er untersuchte die Akten von 88 Patienten aus den Jahren 2010 bis 2014 - ausschließlich solche, die nicht schon in der Stichprobe der PÜK enthalten waren. 58 dieser Patienten lagen in Gauting, 30 in Großhadern.

Zu den nunmehr 30 Manipulationen werden also noch die Fälle kommen, die die PÜK unter ihren 82 Patienten entdeckt hat. Auch ihre Untersuchung, die nur die Jahre 2010 bis 2012 zum Gegenstand hatte, ist inzwischen abgeschlossen. Ende November will die PÜK über sämtliche Verfehlungen der deutschen Transplantationsmedizin berichten, die sie im vergangenen Jahr gefunden hat. Dem Klinikum Großhadern wäre es eigentlich lieber gewesen, wenn die Unregelmäßigkeiten in seinem Lungenprogramm erst zusammen mit den anderen auffällig gewordenen Zentren ans Tageslicht gekommen wären. Doch Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU) hat als Vorsitzender des Klinik-Aufsichtsrats in der Aufsichtsratssitzung am vergangenen Mittwoch darauf gedrängt, die Öffentlichkeit zeitnah zu informieren. Er will sich nicht vorwerfen lassen, mit den Unregelmäßigkeiten hinterm Berg gehalten zu haben.

Es ist das erste Mal, dass ein Klinikum wegen Lungentransplantationen in die Schlagzeilen gerät. Bislang hatte es Auffälligkeiten bei Lebern und Herzen gegeben. Auch in Großhadern hatte die PÜK im Sommer Manipulationen bei Herztransplantationen festgestellt. Doch das Klinikum streitet ab, hier manipuliert zu haben, und liegt seither mit der PÜK im Clinch. Wegen der Lungen blickt Großhadern nun aber freundlich auf die Prüfer. "Wir sind der PÜK dankbar, dass sie uns das aufgezeigt hat", sagte Jauch.

Der Streit könnte allerdings bald wieder hochkochen. Die PÜK jedenfalls sieht die Geschehnisse bei Lungentransplantationen keineswegs milde. Nach SZ-Informationen gehen die Prüfer davon aus, dass die "ausgesprochen schwerwiegenden und systematischen Manipulationen" durchaus dazu geführt haben, dass manche Patienten schneller zu einem Spenderorgan kamen. Außerdem, so heißt es aus dem Umfeld der PÜK, trage nicht die zuweisende Klinik, sondern das Transplantationszentrum die Verantwortung, wenn bei der Warteliste getrickst werde. Und das ist nicht Gauting, sondern Großhadern.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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